Jean Paul, der fast allmächtige Herrscher im Bereiche deutscher Prosa, hat bei verschiedenen Gelegenheiten bekannt, dass er gänzlich unvermögend sei, Verse zu schmieden. Solche Einseitigkeit ist ja in der Literatur an und für sich keine Seltenheit. Es gibt eine ganze Anzahl groβer Prosaisten, die keine oder doch nur vereinzelte und unbedeutende Verse geschrieben haben; es seien nur etwa Montaigne, Balzac, Sterne, Dickens, Hamann, E. T. A. Hoffmann, J. Gotthelf, Thomas Mann genannt. Bei Jean Paul war aber diese Unfähigkeit offenbar in ganz ungewöhnlichem Grade vorhanden. Und das muss umso mehr verwundern, als er doch, wenn man einmal die Unterscheidung zwischen Dichter und Schriftsteller gelten läβt, zweifellos als ein Dichter im vollen Gewichte des Wortes anzusprechen ist (obgleich er gewiss auch ein grosser Schriftsteller war). Hat ihn doch ein so strenger Forderer wie Stefan George die gröβte dichterische Kraft der Deutschen genannt. Mag er auch selber gelegentlich, wie Lessing, an seiner Berufung gezweifelt und alles von ihm Geleistete nur seinem Fleiss, seiner “Heuristik” zugeschrieben haben, so gab es doch wieder Stunden (in dem ungedruckten Tagebuch seiner Heidelberger Reise hat er in bescheiden-stolzen Worten eine solche verzeichnet), wo er es im tiefsten fühlte und wuβte, dass er ein echter Dichter sei. Ja die Art seiner dichterischen Begabung, wenn sie sich auch mit keiner der üblichen Gattungen voll deckte, lag doch mehr nach der lyrischen als nach der epischen oder gar der dramatischen Seite. Von einem Dichter, der von sich sagte: “Wenn mich eine Empfindung ergreift, daβ ich sie darstellen will, so dringt sie nicht nach Worten, sondern nach Tönen, und ich will auf dem Klavier sie aussprechen,” sollte man annehmen, daβ ihm die musikverwandteste Form, die lyrisch-metrische, am nächsten gelegen hätte. Er hat denn auch bekannt, daβ es ihm “in der hebenden Stunde” oft so gewesen sei, “als müβt' er sich durchaus ins Metrum stürzen, um nur fliegend fortzuschwimmen.” Aber wie er auf dem Klavier sich niemals in geordneten Bahnen, in festen Takten und bestimmten Melodien bewegte, sondern sich in freiestem Phantasieren dahinströmen Hess, gewissernassen die “unendliche Melodie” seines Bayreuther Nachfahren vorausahnend, so vermochte er auch in der Dichtung seine lyrischen Empfindungen nicht in die Fesseln eines einmal gegebenen, regelmäβig wiederkehrenden Zeitmasses zu legen. Treffend und witzig hat er sich einem Vogel verglichen, der mit aneinander gebundenen Füβen nicht fliegen könne.