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Zwei Goethestudien (Pater Brey—sesenheimer Lieder)

Published online by Cambridge University Press:  02 December 2020

Ernst Feise*
Affiliation:
The Johns Hopkins University

Extract

Rosts Sendschreiben “Der Teufel, An den Kunstrichter der Leipziger Schaubühne (Altenau 1753,)” erschienen in Leipzig und Dresden vor der Herbstmesse, muβ, seiner Popularität halber, in vielen Nachdrucken verbreitet worden sein und fand dann später eine Wiederbelebung, allerdings mit Auslassung von acht besonders anzüglichen Versen und mit Entstellungen in Wort und Zeichensetzung, in Christian Heinrich Schmids Anthologie der Deutschen, Frankfurt und Leipzig 1770. Es ist wohl kaum zweifelhaft, daβ Goethe und Merck diese Anthologie, in der Lessing, Wieland, Herder, Mendelssohn und viele andere Gröβen der Zeit vertreten waren, kannten, denn Herr Schmid bemühte sich sehr bald, unter die Mitarbeiter der Frankfurter gelehrten Anzeigen aufgenommen zu werden, was ihm allerdings miβlang. Wir dürfen indessen sogar als wahrscheinlich annehmen, daβ der Leipziger Student Goethe, der Gottsched einen Bock schilt, Rosts Gedicht schon in der Originalfassung zu Gesicht bekommen hat, denn es ist ja nicht nur von literarischer Bedeutung, sondern zugleich witzig und treffend, und hat als eines der ersten und kräftigsten Pasquille in Knittelversen (zumal da Gottsched selber diesem Versmaβe für den Gebrauch in Satiren seinen priesterlichen Segen gab), in seiner urwüchsigen Hans-Sachsischen Art einen auβerordentlichen Eindruck gemacht. Um so verwunderlicher scheint es, daβ seine Wirkung auf Goethe, die wir hier als höchst wahrscheinlich und von unbeachteten Folgen zu erweisen suchen, übersehen worden ist, obwohl Flohr in seiner Geschichte des Knittelverses vom 17. Jahrhundert bis zurJugend Goethes (Berlin 1893) den ausgesprochenen Knittelverscharakter der Epistel erkannt und gewertet hat.

Type
Research Article
Information
PMLA , Volume 57 , Issue 1 , March 1942 , pp. 169 - 181
Copyright
Copyright © Modern Language Association of America, 1942

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References

Note 1 in page 169 Abgedruckt bei Minor, Chr. F. Weiβe (Innsbruck 1880), S. 392 ff.; nach der Anthologie in Gödeke, Elf Bücher dt. Dichtg, i, 545. Die “Vorerinnerung” der Anthologie ist recht dazu angetan, einen Dichter wie den jungen Goethe herauszufordern:

“Die besten Kunstrichter sehen es ein, wie mancher Ton in unsrer Sprache noch unversucht geblieben sey. Wo haben wir einen hudibrastischen Dichter? Wo haben wir etwas, das den Spenserschen und Marotischen Gedichten der Engländer und Franzosen entspräche, in denen die alte Sprache so viel Naivetät, Einfalt, und komische Wendung an die Hand giebt? Wir haben Versuche im Geschmack der Minnesinger, aber sehr unglückliche. Sollte man nicht zu burlesken Gedichten die Versart der ehedem so behebten Quodlibet brauchen können? Jede Neuerung findet Leute, die sich daran ärgern, und so würde es Rosten auch heutzutage gehn, wenn er dieβ Sendschreiben herausgäbe. Als es erschien, betrachtete man es nur als eine Schmähschrift, und glaubte freylich, daβ der Teufel an Gottscheden anders als an Voltären schreiben müβte. Aber ich rette es hier von der Vergessenheit wegen seines originellen Tons und seiner Laune.”

Note 2 in page 170 Matth. 8, 30.

Note 3 in page 170 In Schmids Anthologie fehlen die Verse “Der Herr Professor ... Ehe Knacks,” was unsere Hypothese schwächen würde, wenn man nicht annehmen dürfte, daβ die Urfassung noch bekannt war.

Note 4 in page 172 Köster (Jubiläumsausg., vii, 360 ff.) und Richter (Festausgabe, iv, 338 ff.) setzen Brey zwischen Winter 1773 und Ostern 1774, Morris (DjG, vi, 300) und Castle (“Paler Brey und Satyros,” J.G.G., v [1918], 56–98) in den März-April 1773 mit einleuchtenden Gründen. Allerdings hält Morris für den Satyros an dem Bezug auf Herder fest, während Castle in ihm die freie dichterische Weiterbildung der Figur des trügerischen Religionsstifters sieht angereichert durch Rousseauistische Züge, wohl mit Recht.

Note 5 in page 173 Max Herrmann, Jahrmarktsfest zu Plundersweilern (Berlin, 1900).

Note 6 in page 173 Siehe Feise, Der Knittelvers des jungen Goethe (Leipzig, 1909), S. 89.

Note 7 in page 174 DjG, iii, 23 (Jan. 73); DjG, iii, 56 (15. Sept. 73); DjG, iii, 48 (Juni 73); DjG, iv, 4 (Jan. 74); DjG, iv, 161 (74), v, 285 (30. Juli, 75?).

Note 8 in page 174 Siehe auch Edward Schröder in den Göttinger Gelehrten Anzeigen (1918), S. 389 ff.; Th. Maurer, Beiträge zur Landes- und Volkskunde von Elsaβ-Lothringen, Heft 32; K. Reuschel, Euphorion, xx, 57 ff.; Max Morris, DjG, vi, 155 ff.; Von der Hellen, Jubiläumsausgabe, iii, 308 f.; H. G. Graef, u.s.w.

Note 9 in page 175 Iphigenie, Vers. 15–16: Ihm zehrt der Gram / Das nächste Glück von seinen Lippen weg. Vers 66–67: Noch bedeckt der Gram / Geheimnisvoll dein Innerstes.

Faust, Vers 1635–36: Hör' auf, mit deinem Gram zu spielen / Der, wie ein Geier, dir am Leben friβt.

Note 10 in page 175 Dank freundlichen Hinweises von Professor J. A. Walz.

Note 11 in page 175 Vielleicht ist es erlaubt, hier ein persönliches Erlebnis anzuführen, da es immerhin die Wirkung einigermaβen anzeigt. Als ich in meiner Gedächtniszentrale wegen Grams anrief, kamen mir nach und nach zwei Melodiekurven ins Ohr, die ich fast eine Woche lang nicht mit Worten füllen konnte, obwohl die Rhythmen derselben immer deutlicher wurden. Dann sprang plötzlich das Wort Gram an seine richtige Stelle, die andern folgten nach und nach, und auf einige falsche Versuche der Einordnung zuckten plötzlich die “süβen Rosen” Erwins und die “regen Wipfel” I phigeniens auf. Das Fauslwörterbuch führte zu Mephisto.

Note 12 in page 175 Ich zitiere die Gedichtanfänge in Kursiv und die betreffende Stelle:

Geduld ...: Drum will ich gerne Gram und Pein / In meine Brust verschlieβen

So kurz das ...:... daβ die bangen / Akzente seines Grams bis zu ihr selbst gelangen, Des Grams, den ich so gern verschwieg, / Der nie zur Sprache sich verstieg

Von Gram ...: Von Gram und Taumel fortgerissen / Verzweiflungsvoll dein Bild zu küssen

Ein wohlgenährter Kandidat ...: Nahm sie's als Zucht für ihren Gram (Dies ist das Gedicht auf Friederike Brion!)

Bei flüchtiger Durchsicht fand sich das Wort auch in den Dramen: Hofmeister Akt iv Scene 1: Sonst verwandelt sich ihr Gram in Narrheit. Die Freunde machen den Philosophen Akt i, Scene 1: Es ist nichts mein geblieben als der Gram über ihren Verlust.

Das Wort “Grämen” steht in dem Sesenheimer Gedicht Lenzens: Ach bist du fort: ... des Jünglings stummes Grämen / Blieb unbemerkt.

und im Pygmalion: Das war mein Wunsch—und ist mein Grämen.

Note 13 in page 176 Buch xi, Absatz 44.

Note 14 in page 177 Siehe Max Friedländer, Das deutsche Lied im 18. Jahrhundert, i, 27.

Note 15 in page 179 Wir müssen es wohl oder übel hier abdrucken, weil es nur bei Wustmann, Als der Groβvater die Groβmutter nahm, Leipzig 1905 zugänglich ist, in der vierten Auflage auf Seite 267. Die Melodie ist zu finden in Max Friedländer, 1. c. i 79.

Der Groszmütige Liebhaber
Ich hebte nur Ismenen,
Ismene liebte mich.
Mit unverfälschten Tränen
Getreu verlieβ ich dich.
Noch fühl' ich gleiche Triebe,
Und du fliehst mein Gesicht;
Beweg ihr Herz, o Liebe,
Nur straf Ismenen nicht!
Wie oft hast du geschworen,
Du liebtest mich allein,
Sonst sollt' dein Reiz verloren,
Dein Antlitz schrecklich sein.
Aus Liebe zu Narzissen
Vergiβt du Schwur und Pflicht. O rühre sein Gewissen, Nur straf Ismenen nicht!
Hier unter diesen Buchen Gabst du mir Strauβ und Band. Dort kamst du mich zu suchen,
Hier nahmst du meine Hand.
Dort gabst du mit Erröten
Den Ring, den Untreu bricht—Gedanken, die mich töten,
Ach straft Ismenen nicht!
Du grubst in diese Linde
Mit eignen Händen ein:
Wer untreu wird, der finde
Hier seinen Leichenstein.
Schont, Götter, schont Ismenen,
Die selbst ihr Urteil spricht!
Mein Grab soll euch versöhnen,
Nur straft Ismenen nicht!

Morris (DjG, vi, 160) zitiert zu dem Baumgedicht Goethes verkürzt zwei Parallelstellen aus Cronegks Werken (Leipzig 1771, ii 39 und 327), die wir hier in ihrem ganzen, etwas umfänglichen Zusammenhang wiedergeben und die natürlich zugleich mit dem obigen Liede als Reminiszenzen gewirkt haben können:

Ihr Buchen, lebet wohl! In euern treuen Rinden
Soll einst die Nachwelt noch Zemirens Namen finden.
Kein Nordwind und kein Sturm zerstöhr das heilge Grün!
Ich folge dem Geschick: das heiβt mich von euch fliehn.

Und:

Verzeih, o Baum, wenn deine heiigen Rinden
Die Hand verletzt, die Chloens Namen schreibt
Er schütze dich vor den erzürnten Winden;
Dich ehrt der Hirt, der hier die Herden treibt,
Kein freches Beil soll stark seyn, dich zu fällen;
Des Himmels Blitz trifft deinen Scheitel nie.
Beglückter Baum! Du trägst den schönen Namen,
Den meine Treu noch stets im Herzen trägt,
Behalt ihn auch, hierinn mir nachzuahmen,
Bis uns die Zeit in Staub und Moder legt.
Doch nein, die Zeit wird deiner auch verschonen:
Die Nachwelt kennt den schönen Namen noch.
Der Himmel giebt, die Schmerzen zu belohnen,
Was ich gewünscht, mir nach dem Tode noch.

Man vergleiche übrigens auch Lenz' Spruch “Dir, Himmel, wächst er kühn entgegen,” der sich wieder auf Goethes Gedicht beziehen mag.