Eines der schwierigsten Probleme der Überlieferung der Schriftzitate in der patristischen Literatur stellt sich durch die Beobachtung, daß Justin (J) und Pseudoklemens (PsKl) in nicht wenigen ‘Textmischungen’, d. h. Verbindungen von Zitattexten insbesondere aus den synoptischen Evangelien, zumindest teilweise miteinander übereinstimmen. Zwar handelt es sich nur um sechzehn vergleichbare Zitate, so daß angesichts der großen Zahl von alttestamentlichen und neutestamentlichen Schriftbelegen bei J und PsKl man fragen könnte, ob dieses Phänomen in der Forschung nicht überschätzt worden ist. Jedoch erhält es ein besonderes Gewicht, wenn man den nach W. Sanday, W. Bousset, M. v. Engelhardt und E. Lippelt durch A. J. Bellinzoni geführten Nachweis für gelungen ansieht, wonach Justin neben den synoptischen Evangelien und anderen frühchristlichen Überlieferungen in seinen Zitaten eine schriftliche nachsynoptische Evangelienharmonie benutzte. Von hier aus ist dann der Schluß nahegelegt, daß die Justin-Zitate zusammen mit den Paralleltexten bei späteren Kirchenvätern eine Vorstufe oder gar die Grundlage für Tatians Diatessaron darstellen. Allerdings hängt für die Bildung eines begründeten Urteils viel davon ab, daß nicht nur Justins Belege, sondern auch die Parallelen in der patristischen Überlieferung eingehend beachtet werden. Dies ist in Bellinzonis breit angelegter Arbeit in Hinsicht auf PsKl nur eingeschränkt der Fall. Daher füllt die bei der Harvard University in Cambridge/Mass. eingereichte, kürzlich veröffentlichte Dissertation von L. L. Kline eine Lücke, indem sie die These Bellinzonis durch Untersuchung der Schriftzitate in den Pseudoklementinen zu bestätigensucht. Darf man sagen, daß die Evangelienharmonie-Hypothese nunmehr über ein solides Fundament verfügt, von dem die künftige Forschung ausgehen kann? Diese Frage soll im folgenden kritisch untersucht und beantwortet werden.