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Eine Evangelienharmonie bei Justin und Pseudoklemens?

Published online by Cambridge University Press:  05 February 2009

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Eines der schwierigsten Probleme der Überlieferung der Schriftzitate in der patristischen Literatur stellt sich durch die Beobachtung, daß Justin (J) und Pseudoklemens (PsKl) in nicht wenigen ‘Textmischungen’, d. h. Verbindungen von Zitattexten insbesondere aus den synoptischen Evangelien, zumindest teilweise miteinander übereinstimmen. Zwar handelt es sich nur um sechzehn vergleichbare Zitate, so daß angesichts der großen Zahl von alttestamentlichen und neutestamentlichen Schriftbelegen bei J und PsKl man fragen könnte, ob dieses Phänomen in der Forschung nicht überschätzt worden ist. Jedoch erhält es ein besonderes Gewicht, wenn man den nach W. Sanday, W. Bousset, M. v. Engelhardt und E. Lippelt durch A. J. Bellinzoni geführten Nachweis für gelungen ansieht, wonach Justin neben den synoptischen Evangelien und anderen frühchristlichen Überlieferungen in seinen Zitaten eine schriftliche nachsynoptische Evangelienharmonie benutzte. Von hier aus ist dann der Schluß nahegelegt, daß die Justin-Zitate zusammen mit den Paralleltexten bei späteren Kirchenvätern eine Vorstufe oder gar die Grundlage für Tatians Diatessaron darstellen. Allerdings hängt für die Bildung eines begründeten Urteils viel davon ab, daß nicht nur Justins Belege, sondern auch die Parallelen in der patristischen Überlieferung eingehend beachtet werden. Dies ist in Bellinzonis breit angelegter Arbeit in Hinsicht auf PsKl nur eingeschränkt der Fall. Daher füllt die bei der Harvard University in Cambridge/Mass. eingereichte, kürzlich veröffentlichte Dissertation von L. L. Kline eine Lücke, indem sie die These Bellinzonis durch Untersuchung der Schriftzitate in den Pseudoklementinen zu bestätigensucht. Darf man sagen, daß die Evangelienharmonie-Hypothese nunmehr über ein solides Fundament verfügt, von dem die künftige Forschung ausgehen kann? Diese Frage soll im folgenden kritisch untersucht und beantwortet werden.

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References

page 297 note 1 Bellinzoni, A. J., The Sayings of Jesus in the Writings of Justin Martyr (Leiden, 1967).CrossRefGoogle Scholar

page 297 note 2 Kline, Leslie L., The Sayings of Jesus in the Pseudo-Clementine Homilies, SBL-Dissertation Series 14 (Missoula, Montana, 1975)Google Scholar; vgl. ders., Harmonized Sayings of Jesus in the Pseudo-Clementine Homilies and Justin Martyr’, Z.N.W. 65 (1975), 223–41.Google Scholar

page 298 note 1 Vgl. die Untersuchungen Semisch, von K., Die apostolischen Denkwürdigkeiten des Märtyrers Justines (Hamburg, 1848)Google Scholar; Hilgenfeld, A., Kritische Untersuchungen über die Evangelien Justin's, der Clementinischen Homilien und Marcion's (Halle, 1850)Google Scholar; auch die eingehende, allerdings bewußt unvollständige Analyse bei W. Bousset (Die Evangeliencitate Justins des Märyrers in ihrem Wert für die Evangelienkritik, Göttingen, 1891)Google Scholar, wo darauf aufmerksam gemacht wird, daß für die Überlieferung der AT-Zitate Justins eine Abhängigkeit von der Lukianischen Textrezension wahrscheinlich ist (S. 20–22). Nicht überzeugend ist jedoch, wenn Bousset im Anschluß an Hilgenfeld dem Problem der Disparatheit der alttestamentlichen Zitate Justins durch die These zu entkommen sucht, spätere Abschreiber hätten AT-Texte durch traditionelle Lesarten ersetzt (S. 18–22.32 ff). Auch wenn man das grundsätzliche Recht dieser Vermutung zugesteht, so ist hierdurch doch die Freiheit Justins bei der Schriftzitation, die im einzelnen auch eine ‘innerjustinische’ Geschichte haben mag, unterschätzt worden.

page 299 note 1 Vgl. in diesem Sinn: Prigent, P., Justin et l'Ancien Testament (Paris, 1964)Google Scholar, passim. Zur Vermutung einer J und Irenäus gemeinsamen Testimonientradition, in der z. B. Num xxiv. 17 und Jes xi. 1 ff kombiniert worden seien, vgl. Sibinga, J. Smit, The Old Testament Text of Justin Martyr, I (Leiden, 1963), 49 f:Google Scholar Hinweis auf Iren, Epid. 58 f (allerdings wird nicht übersehen, daß Irenäus anders als J nicht nur Jes xi. 1, 10, sondern Jes xi. 1–10 mit Num xxiv. 17 zusammenstellt und zwischen beiden Zitaten unterscheidet). Die Schwierigkeit der Testimonienhypothese, deren Wahrheitsgehalt nicht grundsäEtzlich bestritten werden soll, besteht in Hinsicht auf das Schrifttum Justins darin, daß aus nachjustinischer Literatur im Vergleich mit J vorjustinische Tradition erschlossen wird. Die Bedeutung und Ausstrahlung des schriftstellerischen Werkes Justins auf die spätere patristische Überlieferung sollte demgegenüber nicht unterschätzt werden.

page 299 note 2 Die Freizügigkeit der AT-Zitierungen Justins betont auch Osborn, E. F. (Justin Martyr, B.H.Th. 47, Tübingen, 1973, 113 f)Google Scholar, der andererseits auf die Möglichkeit von frühchristlicher Testimonienüberlieferung zu Recht verweist. Diese ist auch für das NT, etwa für die Reflexionszitate des Matthäus-Evangeliums, nicht auszuschließen (vgl. hierzu Strecker, G., Der Weg der Gerechtigkeit. Untersuchung zur Theologie des Matthäus, FRLANT 82, Göttingen3, 1971, 49– 85)Google Scholar; sie ist besonders für die nachneutestamentliche Literatur, z. B. den Barnabas-Brief, vermutet worden (vgl. Prigent, P., Les Testimonia dans le Christianisme primitif. L'Épître de Barnabé I–XVI et ses sources, Ét Bibl Paris, 1961Google Scholar; Barnard, L. W., Studies in the Apostolic Fathers and their Background, Oxford, 1966, 109–35Google Scholar; kritischer: Kraft, R. A., ‘Barnabas' Isaiah Text and the “Testimony Book” Hypothesis’, J.B.L. 79 (1960), 336–50Google Scholar; Stegemann, H., Z.K.G. 73 (1962), 142–53)Google Scholar. Freilich wird hierbei nicht in jedem Fall an schriftliche Abfassung zu denken sein und auch bei deren Voraussetzung ist die zu vermutende Variationsbreite erheblich: von mehr zufälligen Schriftexzerpten zum Zweck der christlichen Unterweisung bis zu gelehrten Testimonienbüchern. Weithin anerkannt dürfte sein, daß die Annahme von einer Testimonien-Quelle, die den Schriften des Neuen Testaments und den Kirchenvätern kontinuierlich zugrundeliegt (so Harris, J. R., Testimonies, Bd. 111, Cambridge, 1916, 1920)Google Scholar, nicht zu halten ist. Aber auch im Einzelfall läßt sich die Benutzung von Testimonien nur unter Schwierigkeiten nachweisen; selbst das Osborn, von E. F. als entscheidend angesehene Kriterium (a. a. O. 115:Google Scholar ‘The decisive factor is the attribution of texts to the wrong authors') führt nicht auf sicheren Boden, schon gar nicht, wenn der erste Spruch einer Zitatenkombination von dem betreffenden (alttestamentlichen) Schriftsteller stammt (so Apol 152, 10).Google Scholar

page 299 note 3 Z. B. H XVI 13, 2–3: Dt xiii. 2–3, 10–11 (daß entgegen dem AT-Text im Zitat nicht Gott, sondern der versucherische Prophet als Urheber der Versuchung erscheint, entspricht der Tendenz des Pseudoklemens, Anthropomorphismen nach Möglichkeit zu vermeiden).

page 300 note 1 Z. B. H XVI 6, 10: Ps xxxiv. 10+ Lxxxv. 8 LXX; daß in beiden Psalmversen óμοίος erscheint, wird die Textmischung verursacht haben.

page 301 note 1 A. a. a. O. 169–73.

page 302 note 1 Bellinzoni, A. J., a. a. O. 106.Google Scholar

page 303 note 1 Vgl. auch Dial 35Google Scholar, 3C (s. u.). – Die Schlußfolgerung von Bellinzoni: ‘We can, therefore, safely conclude that Justin had before him a written source that combined Mt. 24:5 with Mt. 7:15, 16, 19’ (a. a. O. 47), läßt andere Erklärungsmöglichkeiten unberücksichtigt und erklärt nicht die vorhandenen Differenzen. Die Parallele Didask 6 13, 3Google Scholar (Apost Konst VI 13, 3)Google Scholar bietet ein gutes Beispiel für die Tatsache, daß bei unbekümmerter Zitierung die apokalyptischen Worte Mt xxiv. 5+ vii. 15 f; xxiv. 24+ 1V. 11–13 (anders als bei J erscheinen sie hier als ein Zitat) miteinander verwoben werden konnten. Die Feststellung, daß in diesem Text das Logion: ‘Es werden Schismen und Häresien sein’ fehlt, ist ein erster Hinweis, daß man mit einem PsKI, Didask, Did 35, 3Google Scholar und anderen altkirchlichen Schriftstellern vorgegebenen ‘Vademekum’ nicht wirklich rechnen kann.

page 304 note 1 Ps. Basilius, , fes 13, 257Google Scholar; Ambrosiaster, , Röm 11, 8–10Google Scholar; Tatian, , Diat (Ephr 211)Google Scholar; codd zu Lk xi. 52 (έκρψατε).

page 305 note 1 Woher Bellinzoni, A. J., der zu Dial 17Google Scholar, 4 die Väterbelege einschl. PsKI unberücksichtigt läßt, den Mut nimmt, allein auf der Grundlage von J eine Bestätigung für die postulierte ‘Quelle’ abzuleiten und dies gegen Massaux's gegenteilige Ansicht zu vertreten (a. a. O. 36+Anm. I; gegen Massaux, E., Influence de l'Évangile de saint Matthieu cur la Littérature Chrétienne avant Irénée, Louvain, 1950, 518)Google Scholar, wird nicht einsichtig. Auch E. F. Osborn bekennt sich zur Vorstellung von einer durch J benutzten Evangelienharmonie (a. a. O. 121: ‘My own thesis is that Justin used a harmony of the synoptic gospels, which was a teaching and apologetic anthology, but that this harmony was primarily transmitted in oral form’); jedoch ist mit dieser These die Komplexität der Schriftzitation Justin nicht wirklich zur Kenntnis genommen; die Schriftzitate bewegen sich bei Justin auf unterschiedlichen Ebenen; sie schließen sowohl freie als auch wörtliche Zitate em und bezeugen darüber hinaus unkanonische Herrenwortüberlieferung (s. u.).

page 305 note 2 Köster, H., Synoptische Überlieferung bei den Apostolischen Vätern, TU 65 (Berlin, 1957), 97Google Scholar. – A. J. Bellinzoni (a. a. O. 110f) und Kline, L. L. (a. a. O. 2733)Google Scholar gehen von der Existenz einer ‘Quelle’aus, ohne sie nachgewiesen zu haben. Das Dilemma der Quellenhypothese wird deutlich, wenn Bellinzoni im Widerspruch zu seiner voraufgehenden Darstellung abschließend die Vermutung äußert, daß Justin und der 2. Klemensbrief zwei verschiedene Rezensionen derselben Evangelien-harmonie zur Voraussetzung haben (a. a. O. 142).

page 306 note 1 Irreführend ist es, wenn L. L. Kline die Abweichungen des Lk-Textes gegen Mt als Argument für die Öbereinstimmungen zwischen J und H wertet (a. a. O. 23); daß die Textmischung in ihrem ersten Teil sich Lk vi. 29 anschließt, ist ja unbestritten. Als eine allgemeine Öbereinstimmung zwischen J und H läßt sich allenfalls noch der Versuch nennen, die Schärfe des synoptischen Logions abzuschwächen. Dabei sind für die pseudoklementinische Lesart μαφóριον (‘Mantel’) ebionitische Reminiszenzen nicht zu bemühen.

page 307 note 1 So Bellinzoni, A. J., a. a. O. 136–8.Google Scholar

page 307 note 2 Anders verhält es sich mit der Johannesapokalypse, die der Chiliast Justin als Autorität anführt und dem Apostel Johannes zuschreibt (Dial 81, 4)Google Scholar. Dagegen ist das Johannesevangelium in H xix 22, 6 (Joh, ix. 3)Google Scholar, vermutlich auch in Hin 52, 2 (Joh, x. 9Google Scholar + Mt vii. 14) zitiert.

page 307 note 3 Dem entspricht die vielgestaltige Überlieferung bei den Kirchenvätern: Iren, haer fr 33Google Scholar; Tertullian, , de baptismo 13Google Scholar; Hippol, , ref 7 10, 8Google Scholar; Apost Konst 6 15Google Scholar; Clem Al, Coh 9 82Google Scholar; paed 15Google Scholar; codd zu Joh, iii. 5.Google Scholar

page 308 note 1 Cyrill Al, de ador 6Google Scholar; Epiph, , haer 21 6Google Scholar; Nyssa, Gregor, hom in Cant 13Google Scholar; Apost Konst 5 12, 6Google Scholar; vgl. auch Clem Al, Strom 5 50, 5Google Scholar; 99, I; VII 67, 5; Euseb, demonstr evang 3 3 (103a)Google Scholar; Iren haer IV 2, 5 u. aGoogle Scholar.; Resch, A., Auflercanonische Paralleltexte zu den Evangelien II (Leipzig, 1894), 93 ff.Google Scholar

page 309 note 1 Vgl. das vorausgehende άλαπς in verallgemeinernder Bedeutung: L. L. Kline, a. a. O. 152 f.

page 311 note 1 Vgl. Iren, haer 2 6, IGoogle Scholar; Origenes, contra Celsum 6 17Google Scholar; Euseb, , de theol eccl 1 16, 3Google Scholar; Athanasius, Or contra Arians 1 12 + 39Google Scholar; Didymus Al, de trinitate 115Google Scholar; Epiph, ancoratus 73Google Scholar; Tertull, , adv Marc Iv 25, 14Google Scholar; codd zu Mt xi. 27+ Lk x. 22.

page 311 note 2 Winter, P., ‘Matthew XI 27 and Luke X 22 from the first to the fifth century. Reflections an the development of the text’, Nov. Test. 1 (1956/1957), 112–48CrossRefGoogle Scholar; vgl. dazu die Kritik Suggs, von M. J.: Wisdom, Christology, and Law in Matthew's Gospel (Cambridge, Mass., 1970), 72–7.CrossRefGoogle Scholar

page 313 note 1 Vgl. bopt:+ ó έν τοίς ορανοίς; φ pc Aeth:+οράνıος. Stellt man diese Lesart in Rechnung, so fallen als Zeugen für den Mischtext aus: Clem Al, strom 2 19, 100Google Scholar; Ps Athanasius, quaest ad Anti ochum 89Google Scholar; Makarius, , hom 19Google Scholar, 2 u. a. – Epiphanius, (haer 33 10, 5Google Scholar; LXVI 22, 4) führt auf Mt v. 45 zurück.

page 313 note 2 Nicht überzeugend der Rekonstruktionsversuch von A. J. Bellinzoni (a. a. O. 14); die Verbindung und Doppelung der Adjektive χρηστοì καì οìκτìρμονες die für die Urtradition in Anspruch genommen werden, ist nur für Justin belegt. Hiervon abgesehen entspricht der rekonstruierte Text aufs beste dem kanonischen (Lk vi. 36+Mt v. 45); daher sich die obige These bestätigt: Die patristischen Zeugen stimmen insoweit untereinander überein, als sie mit dem synoptischen Text übereinstimmen (scheinbare Ausnahmen: καθς καì [R, Makarius] so jedoch auch Lk v.l.; άλαθος καì πονηροīς [H, R, Epiph, Hilarius, Augustin] diese Umstellung auch Mt v.l.); ihre gemeinsame Basis ist die synoptische Überlieferung, nicht ein unkanonisches Herrenwort.

page 313 note 3 Verbindung des lukanischen οìκτíρμονες χρηστοí(J), mit άγαθοí(PsKI), mitt έλεήμονες (Clem Al); auch άγαθοì καì χρηστοí (Makarius).

page 314 note 1 Vgl. ähnlich Iren, haer 3 23, 3Google Scholar; Clem Al, protr 9 83Google Scholar; Hippol, , Antichrist 65Google Scholar; Aphr, hom xxGoogle Scholar; Tertull, , adv Hermog II.Google Scholar

page 315 note 1 Nach G. Quispel ist aufgrund von Übereinstimmungen zwischen dem Thomasevangelium und Pseudoklemens ein gemeinsam genutztes judenchristliches Evangelium zu erschließen (L'Évangile selon Thomas et les Clémentines’, Vig. Christ. 12 1958, 181–96)Google Scholar; vgl. jedoch zur Kritik: Klijn, A. F. J., A Survey of the Researches into the Western Text of the Gospels and Acts, 11 (Leiden, 1969), 1116.Google Scholar