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Published online by Cambridge University Press: 05 February 2009
Als ich vor fast zwei Jahren von der Leitung unserer Gesellschaft die ehrenvolle Einladung erhielt, auf dem diesjährigen Kongreβ in Edinburgh einen der Plenarvorträge zu halten, war mir sehr bald klar, daβ ich das Thema wählen würde, das nun über diesem Aufsatz steht. Seither habe ich – immer mit diesem Thema im Hinterkopf – den Eindruck gewonnen, daβ mir sozusagen in jeder Woche ein neuer Aufsatz, eine neue Monographic zur Frage nach den Schriftzitaten aus dem Alten im Neuen Testament oder in der frühjüdischen Literatur bekannt wurde, oft genug freilich nur durch Verlagskataloge oder Literaturverzeichnisse, ohne daβ ich in der Lage gewesen wäre, alle diese Literatur auch wirklich inhaltlich zur Kenntnis zu nehmen oder gar durchzuarbeiten. Aber so viel ist zu erkennen: Viele Kolleginnen und Kollegen waren und sind gegenwärtig an diesem Thema interessiert. Natürlich kann das auch zur Folge haben, daβ einige von Ihnen angesichts meines Themas in den Stoβseufzer ausbrechen: ‘Was will dieser Lotterbube uns dazu noch sagen?’ (Apg 17.18). Denn wir sind ja eigentlich alle ein wenig vom Schlag der Athener, ‘gerichtet auf nichts anderes, denn etwas Neues zu sagen oder zu hören’ (Apg 17.21).
1 Ein Beispiel für viele: Hengel, M. und Löhr, H., Hrsg., Schriftauslegung im antiken Judentum und im Urchristentum (WUNT 73, Tübingen: Mohr, 1994)Google Scholar, mir noch nicht zugänglich.
2 Etwas frei nach Luthers Übersetzung.
3 Ich spreche vom ‘Alten Testament’, weil mir diese Terminologie nach wie vor im Zusammenhang christlicher Theologie die angemessene zu sein scheint (vgl. dazu ausführlich: Sänger, D., Die Verkündigung des Gekreuzigten und Israel [WUNT 75; Tübingen: Mohr, 1994] 63–72)Google Scholar. Die ‘Hebräische Bibel’ in dem von den Rabbinen der ersten nachchristlichen Jahrhunderte festgelegten (reduzierten) Umfang ist weder für den konkreten Bibel–Gebrauch (von den neutestamentlichen Autoren an, die sich mehr oder weniger deutlich auf die Septuaginta beziehen) noch hinsichtlich der Kanonsgrenzen für christliche Kirche und Theologie maβgebend; vgl. meinen Beitrag ‘“Bücher: so nicht der heiligen Schrifft gleich gehalten …”? Karlstadt, Luther – und die Folgen’, Tragende Tradition (FS M. Seils, hrsg. v. A. Freund, U. Kern, A. Radler; Frankfurt/M. u.a.: P. Lang, 1992) 173–97Google Scholar. Im übrigen sei hier betont, daβ die Benennung der ‘Schriften’ Israels als ‘Altes Testament’ keineswegs eine negative Sicht implizieren muβ, sondern – im Sinne spätantiken Denkens – diese Schriften zuerst einmal als uralt, dem Ursprung näher und deshalb von hohem Wahrheitsanspruch charakterisiert. Noch für Eusebios und seine ‘Praeparatio Evangelica’ geht es gerade um den Nachweis, daβ die ‘neue’ Botschaft des Christusevangeliums trotz ihrer Neuheit zugleich das Gewicht einer ‘uralten’, in Christus nur weitergeführten, an ihr eigentliches Ziel gelangten Offenbarung Gottes hat. Vgl. zu diesem Topos spätantiken und frühchristlichen Denkens: Pilhofer, P., PRESBYTERON KREITTON. Der Altersbeweis der jüdischen und christlichen Apologeten und seine Vorgeschichte (WUNT II/39; Tübingen: Mohr, 1990).Google Scholar
4 Vor allem in der im Erscheinen begriffenen Biblischen Theologie des Neuen Testaments von Hans Hübner (Bd. 1, Göttingen: Vandenhoeck, 1990; Bd. 2, ebd., 1993)Google Scholar haben die Zitate aus dem Alten im Neuen Testament als die beide Testamente zusammenhaltenden Bänder besonderes Gewicht. Für das einstmals grundlegende Arbeitsinstrument von Dittrich, W., Vetus Testamentum in Novo. Die alttestamentlichen Parallelen des Neuen Testaments im Wortlaut der Urtexte und der Septuaginta 1–2 (Göttingen: Vandenhoeck, 1899/1903)Google Scholar ist eine Neufassung geplant.
5 Vgl. Sammelband, z.B. denMitte der Schrift? Ein jüdisch–christliches Gespräch (hrsg. von M. Klopfenstein, U. Luz u.a.; Bern-Frankfurt/M. u.a.: P. Lang, 1987)Google Scholar, die Monographie von Liebers, R., ‘Wie geschrieben steht’. Studien zu einer besonderen Art frühchristlichen Schriftbezuges (Berlin u.a.: de Gruyter, 1993)Google Scholar, sowie mehrere Jahrgänge des Jahrbuchs für Biblische Theologie (Neukirchen-Vluyn: Neukirchener), besonders die Bände 4 (1989) und 6 (1991)Google Scholar, jeweils mit einigen Beiträgen zur Schriftzitation.
6 Rothfuchs, W., Die Erfüllungszitate des Matthäus–Evangeliums. Eine biblisch–theologische Untersuchung (BWANT 88; Stuttgart usw.: Kohlhammer, 1969)Google Scholar.
7 Die (heiden–)christliche Kirche des 2. bis 4. Jahrhunderts hat natürlich Schriften mit deutlich judenchristlichem Charakter – soweit sie damals noch kursierten – nicht in den neutestamentlichen Kanon aufgenommen und somit die spätere Kirche des ‘Abendlands’ ein für allemal auf den paulinischen Kurs festgelegt.
8 Zur Problematik des Terminus ‘Judenchristen(tum)’ vgl. Colpe, C., ‘Das deutsche Wort “Judenchristen” und ihm entsprechende historische Sachverhalte’, in: ders., Das Siegel der Propheten (ANTZ 3; Berlin: Institut Kirche und Judentum, 1990) 38–58.Google Scholar
9 Das ist immer dann der Fall, wenn die Kirche als eine Art Filiale des Volkes Israel definiert wird – statt als eine selbständige Gröβe, die nicht in das Volk Israel ‘eingemeindet’ werden kann, sondern, aus der gleichen ‘Wurzel’ wie dieses – also aus dem jetzt neu verkündeten Heilswillen des Einen Gottes – hervorgegangen, neben Israel besteht (vgl. Röm 11.18; dazu Walter, N., ‘Zur Interpretation von Römer 9–11’, ZThK 81 [1984] 172–95:179–82).Google Scholar
10 Es besteht heute wohl Einmütigkeit darüber, daβ bei der gegen Ende des 1. Jahrhunderts in das Achtzehn-Bitten-Gebet eingefügten Verfluchung der Minîm neben anderen jüdischen Gruppen die Judenchristen gemeint waren, mit Sicherheit aber nicht die Heidenchristen, die ohnehin nicht als Juden anzusehen waren und deshalb rabbinischerseits auch gar nicht ‘bekämpft’ werden muβten. Dieselbe grundsätzliche Haltung vertrat das rabbinische Judentum in späteren Jahrhunderten gegenüber der seit Konstantin staatlich anerkannten (Heiden-)Kirche. Paulus sah die Sache übrigens anders; für ihn waren die (Heiden-)Christen nun nicht mehr ‘Heiden’, wie z.B. 1 Kor 12.2 zeigt; vgl. auch 1 Kor 5.9–13: die nichtglaubenden ‘Heiden’ sind ‘die drauβen’ im Unterschied zu den (Heiden-)Christen. Vgl. aber auch die genauere Erörterung des Themas durch C. Colpe, ‘Die Ausbildung des Heidenbegriffs in antikem Judentum und früher Kirche und das Zweideutigwerden des Christentums’, in: ders., Siegel (s. oben Anm. 8), 90–122.
11 Vgl. dazu Amir, Y., ‘Die Begegnung des biblischen und des philosophischen Monotheis-mus als Grundthema des jüdischen Hellenismus’, EvTh 38 (1978) 2–19Google Scholar, und: ders., ‘Der jüdische Eingottglaube als Stein des Anstoβes in der hellenistisch-römischen Welt’, JBTh 2 (1987) 58–78.Google Scholar
12 Vgl. Walter, N., ‘Christusglaube und heidnische Religiosität in paulinischen Gemeinden’, NTS 25 (1978/1979) 422–42: 433–4.CrossRefGoogle Scholar
13 In dieser Weise möchte ich aufnehmen, was mir an der seit einiger Zeit im Blick auf den jüdisch-christlichen Dialog debattierten Rede von ‘theologischem’ oder ‘christologischem Besitzverzicht’ richtig zu sein scheint.
14 Von irgendeiner Art von Vollständigkeit kann natürlich im Rahmen eines Vortrags keine Rede sein.
15 Ich zähle etwa 60 Schriftzitate (über die Zugehörigkeit einzelner Stellen kann man streiten). Davon sind etwa 22 Zitate, also mehr als ein Drittel, ‘Sondergut’ des Matthäus, nach meiner Vermutung überwiegend von ihm selbst (oder der ‘Schule’ von christlichen Schriftgelehrten, der er angehört?) in den ‘Schriften’ aufgefunden und nun zitiert. Oben kann ich nur auf wenige der für Mt charakteristischen Zitat-Typen eingehen. – Als knappe neuere Darstellung des Sachverhalts nenne ich hier nur: Weiser, A., Theologie des Neuen Testaments 2: Die Theologie der Evangelien (Stuttgart: Kohlhammer, 1993)Google Scholar Abschnitt III 3 (S. 79–90).
16 Es ist mir einigermaβen unverständlich, daβ in neuerer Zeit jüdische und zum Teil auch christliche Exegeten angesichts der oben genannten Beispiele dennoch meinen, Jesus sei ein ganz ‘normaler’ Tora-Ausleger gewesen, wie andere, gerade auch solche mit pharisäischer Grundhaltung, zu seiner Zeit auch, und Jesus könne demzufolge ohne Probleme als ein rechter ‘Lehrer Israels’ eingeordnet werden.
17 Ich bin mit anderen Exegeten der Meinung, daβ der jeweilige Vorspann mit (alter) Tora und dem dagegengesetzten machtvollen (Mt 7.28–9) ‘Ich aber sage euch …’ Jesu in alien sechs Fällen erst von Matthäus stammt; vgl. besonders Broer, I., ‘Die Antithesen und der Evangelist Matthäus’, BZ NF 19 (1975) 50–63Google Scholar. Damit hat Matthäus m.E. eine genaue theologische bzw. christologische Anschauung zum Ausdruck gebracht, und zwar in der Weise eines breit ausgeführten Ausbaus zu Mk 1.22, woher ihm das Stichwort der ‘Vollmacht’ sowie das ‘nicht wie die Schriftgelehrten’ vorgegeben war.
18 Der ganz andere Deutungsansatz bei Lk (11.30 – ohne Entsprechung bei Mt) zielt dagegen auf den Schluβ der Jona-Erzählung, den auch die bereits in Q vorhandene Deutung durch Anfügung des auf die Nineviten bezüglichen Jesus-Logions (Lk 11.32 ‖ Mt 12.42) im Sinne hat.
19 Zu Recht gilt heute diese Stelle weithin als ein verstecktes Selbstporträt des Evangelisten. Doch vgl. auch Luz, U., Das Evangelium nach Matthäus 2 (EKK 1/2, Neukirchen-Vluyn: Neukirchener, 1990) 363–5Google Scholar, der zumindest eine Beschränkung auf den Evangelisten nicht akzeptieren möchte.
20 Im Falle von Mt 12.40 ist schon durch die Parallele Lk 11.29–32 wohl hinreichend gesichert, daβ es sich um eine neue Auslegung des ‘Redaktors’ Mt (oder seiner ‘Schule’) handelt.
21 Aus diesem Grande ist es fraglich, ob man auch Mt 2.6 zu den Reflexionszitaten rechnen soil; denn hier wird ja ein biblisches ‘Erfüllungszitat’ innerhalb einer Erzählung von den am Geschehen beteiligten ‘Schriftgelehrten’ vorgetragen, also dem literarischen Gewande nach nicht als eine ‘Reflexion’ des Autors Matthäus über das erzählte Geschehen. Auch ist hier damit zu rechnen, daβ das Bibelzitat bereits in der von Mt übernommenen Erzählung enthalten war, da es sich um ein für den Fortgang der Erzählung unentbehrliches Detail handelt.
22 S. oben Anm. 6.
23 Dem entspricht formal die Anschauung des Kommentators des Habakuk-Peschers von Qumran, der sogar ausdrücklich verneint, daβ die Propheten das von ihnen im voraus Angesagte inhaltlich in vollem Umfang hätten verstehen können (1Q pHab 7.1–8). Vielleicht hätte sich auf Befragen hin Matthäus so ähnlich ausgedrückt. Ein Unterschied zwischen beiden Auslegern liegt darin, daβ der Habakuk-Kommentator geschichtliche Geschehnisse auβerhalb des eigentlichen heilvollen Handelns Gottes an seinen Getreuen als voreschatologisches Geschehen deutet und insoweit zu weiterer Treue aufrufen will, da das Ende absehbar ist, während es bei Matthäus um Jesus als eschatologischen Heilsbringer, also um die Deutung einer Person als der (neuen!) Heilsgestalt geht. Kurz: 1Q pHab richtet sich ermutigend an die Frommen der eigenen Gruppe, die sich strikt an die Beachtung der Tora halten sollen und wollen. Mt dagegen will ein neues Heilshandeln Gottes darstellen (und durch biblische Rückbezüge absichern), das nicht nur an Israel, sondern nunmehr auch an die ‘Heiden’ adressiert ist.
24 Man denke auch an die belustigende Sorgsamkeit, mit der Matthäus in der aus Mk 11.1–10 übernommenen Erzählung vom Einzug in Jerusalem Jesus auf zwei Tieren sitzen läβt (Mt 21.2–7), damit der Wortlaut von Sach 9.9 auch vollständig seine ‘Erfüllung’ findet.
25 Insofern gehört die matthäische Jesus-Kindheitsgeschichte der allgemeinantiken Gattung der Kindheitslegenden an, in denen die künftige Gröβe eines bedeutenden Mannes sich schon in seiner Kindheit für Eingeweihte erkennbar macht, und zwar oft in der Weise, daβ das besondere Kind einer Lebensgefahr ausgesetzt wird, aus der es dann wunderbar errettet wird. Vgl. die instruktive Tabelle bei Luz, U., Das Evangelium nach Matthäus 1 (EKK I/1, Neukirchen-Vluyn: Neukirchener, 1985) vor S. 85.Google Scholar
26 [H. L. Strack-]Billerbeck, P., Kommentar zum Neuen Testament aus Talmud und Midrasch 1 (München: Beck, 1922 = 9. Aufl. 1986) S. 85.Google Scholar
27 Manche Forscher rechnen mit der Möglichkeit, daβ nicht Matthäus selbst der ‘Finder’ der den Erfüllungszitaten zugrundeliegenden Schriftstellen sei, daβ er vielmehr eine ihm schon vorliegende Quelle benutzte. Damit ist freilich nur eine bekannte Gröβe durch eine unbekannte ersetzt. Für unsere Überlegungen kommt es auf diese Differenzierung nicht an.
28 Dazu kommt natürlich, daβ in Lk 1–2 eine völlig andere Geburts- und Kindheitserzählung vorliegt, die voraussetzt, daβ die Eltern Jesu zuvor in Nazareth wohnen und nur zum Zwecke der Geburt des Kindes nach Bethlehem zu wandern gezwungen sind. Aber dem ist hier nicht weiter nachzugehen.
29 U. Luz, Matthäus 1 (s. oben Anm. 25), 129.
30 Da die ‘Stimmigkeit’ der christoiogischen Schriftbeweise für Matthäus gerade auch an dem realen Geschehensein der von ihm erzählten Jesusgeschichte(n) liegt, kommt man hier m.E. nicht weiter, wenn man für die Zitation der alttestamentlichen Stellen eine (nur) allegorische Absicht des Matthäus unterstellt, wie ein Gesprächspartner vorschlug.
31 Wer die theologische Diskussion um die Stellung Israels in christlicher Sicht seit dem Ende des 2. Weltkriegs noch in Erinnerung hat, weiβ, daβ selbst das Bewuβtsein des nazistischen Völkermords an Israel keineswegs sofort schon eine grundsätzliche fcheologische Neubesinnung im Blick auf das christlich-jüdische Verhältnis zur Folge hatte.
32 So lautet der Titel eines Aufsatzes von Koch, K., JBTh 6 (1991) 215–42Google Scholar. Vgl. auch den Titel der Festschrift für Rendtorff, R.: Die Hebräische Bibel und ihre zweifache Nachgeschichte (hrsg. v. E. Blum, Ch. Macholz und E. Stegemann; Neukirchen-Vluyn: Neukirchener, 1992).Google Scholar
33 Interessanterweise gibt es auch eine Perikope, in der ein in der jüdischen Tradition sicher messianisch gelesener Text ausdrücklich als nicht auf Jesus anwendbar dargestellt wird: Mk 12.35–7 (mit Parallelen).
34 In den auf meinen Vortrag in Edinburgh reagierenden Gesprächen bin ich mehrfach und mit Recht gefragt worden, ob meine theologische Kritik sich gegen Matthäus selbst oder aber nur gegen spätere kirchliche Folgerungen aus dem matthäischen Ansatz mitsamt deren weiterer Folge – dem kirchlichen Antijudaismus – richtet. Hier wäre die hermeneutische Problematik der Wirkungsgeschichte aufzurollen, was freilich in der hier gebotenen Kürze nicht befriedigend geschehen kann. In welchem Sinne beinhaltet ein Text – oder eine Handlung – die später offenbarwerdenden Wirkungen bereits in sich? Das ist sicher nicht einfür allemal gültig zu sagen; es gibt ja auch Wirkungen, die aus eindeutigem Miβverständnis oder Miβbrauch eines Textes entstehen. Für Matthäus scheint mir aber der Sachverhalt unbestreitbar zu sein, daβ auch andere auf ihn selber zurückgehende Stellen (z.B. die Selbstverfluchung des Volks in Mt 27.25) eine eindeutige Absage des (jüdischen!) Autors an sein eigenes Volk enthalten, so daβ er von dem Vorwurf einer dem Evangelium nicht gemäβen Verurteilung Israels nicht freigesprochen werden kann. (Dabei geht es nicht um moralische Vorwürfe, sondern zunächst nur um die Frage, ob seine Art der Schriftverwendung implizit schon eine Form von Antijudaismus beinhaltet oder nicht. Hinsichtlich der ‘Moral’ wäre dann vor allem zu bedenken, daβ die christliche Gemeinde im 1. Jh. ja noch keineswegs aus einer sozialen oder politischen Überlegenheit heraus urteilt, wie das dann später für die Kirche im sog. ‘konstantinischen Zeitalter’ gilt.) Für unseren Zusammenhang aber besagt das, daβ sich die von mir geübte theologische Sachkritik auch schon auf Matthäus selbst wird beziehen müssen, auch wenn es gilt, daβ erst der von johanneischen Texten – wie Joh 5.37–40 u.a. -oder von einer Stelle wie 1 Thess 2.15–16 auf die christologischen Schriftbeweise geworfene Schatten deren spätere verheerende Wirkung noch erheblich verstärkt hat.
35 Man denke nur beispielshalber an Justins ‘Dialog mit dem Juden Tryphon’.
36 Selbst wenn man in deutero- bzw. trito-jesajanischen Texten ausdrückliche Ansätze für eine über den Rahmen Israels hinausreichende Heilsbotschaft oder -erwartung erkennen kann, um derentwillen die prophetischen Autoren auch den Glauben an den Schöpfer betonen (Jes 42.5–8, 45.18–22 u.a.), dann handelt es sich doch um eine innerhalb des Alten Testaments sich erst andeutende Besonderheit, die vom ‘normalen’ – insbesondere später vom rabbinisch en – Judentum nicht weiter ausgebaut wurde, da sie mit dem Bewuβtsein der göttlichen Erwählung Israels (aus den ‘Völkern’ heraus) entscheidend kollidierte. Paulus hat diese Kollision stark empfunden und eben um dieses Problems willen in Röm 9–11 nach einer Lösung gesucht, die für Israel (und nur für Israel!) ein Festhalten an der Erwählungstreue Gottes seinem auserwählten Volk gegenüber ermöglichte, auch wenn dabei die Spannung zwischen dem Heil aus Glauben für Menschen aus alien Völkern und dem Heil der Erwöst, sondern nur überbrückt wurde (vgl. N. Walter, ‘Römer 9–11’ [s. oben Anm. 9], bes. 172 und 176–8).