Published online by Cambridge University Press: 18 December 2008
Wenn wir von sozialen Unterschichten im Zusammenhang mit dem Prozeß der Industrialisierung sprechen, denken wir unwillkürlich an die Fabrikarbeiterschaft. Es liegt daher nahe, unser Thema als eine Frage nach der Entstehung der industriellen Lohnarbeiterschicht aufzufassen. In der Tat möchte ich mich auch im wesentlichen auf diese Frage konzentrieren; doch sei gleich eingangs bemerkt, daß, wie immer wir auch die Periode der Frühindustrialisierung zeitlich abgrenzen, das Thema „soziale Unterschichten” damit bei weitem nicht ausgeschöpft ist, ja daß wir uns den Zugang zur Beantwortung wesentlicher Fragen nach Herkunft, Zusammenset2ung, sozialer Bewertung und Lebensgefühl der Fabrikarbeiterschaft verbauen, wenn wir unseren Blick zu eng auf diese selbst richten. Deshalb müssen andere Gruppen, die sog. „unterbäuerliche Schicht”, die Handwerksgesellen, die bald agrarisch, bald gewerblich tätigen Tagelöhner, die ländliche und städtische Heimarbeiterschaft, die Dienstboten und ebenso das herren- und heimatlose Volk der Bettler und Vagabunden einbezogen werden, auch wenn wir sie hier nur als Reservoir für die gewerblich-industrielle Unterschicht behandeln können.
page 415 note 1 Diesem Aufsatz liegt ein Vortrag zugrunde, der am 1.11.1962 auf einer deutsch-franzö-sischen Historikerkonferenz in Paris gehalten wurde.
page 418 note 1 Fur die „negative Wertung der Armut” und das „Lob der Kinderarbeit” im 16.-18. Jh. gibt es zahllose zeitgenössische Beispiele. Sie sind z.T. angeführt bei W. Sombart, Die Arbeitsverhältnisse im Zeitalter des Frühkapitalismus (Archiv für Sozialwissenschaft und Sozialpolitik 44, 1917/18), Hinze, K., Die Arbeiterfrage zu Beginn des modernen Kapitalismus in Brandenburg-Preußen 1685–1806, 2. Aufl. Berlin 1963CrossRefGoogle Scholar, aber auch in Schriften wie Traphagen, Wilhelm, Die ersten Arbeitshäuser und ihre pädagogische Funktion, Berlin 1935.Google Scholar Zeugnisse aus den dreißiger und vierziger Jahren d. 19. Jhs. sind angeführt bei Fischer, W., Der Staat und die Anfänge der Industrialisierung in Baden, Berlin 1962, S. 344 f.Google Scholar
page 418 note 2 E. Maschke, in einem noch unveröffentlichten Vortrag: Soziale Unterschichten im Spätmittelalter.
page 418 note 3 Mauersberg, H., Wirtschafts- und Sozialgeschichte zentraleuropäischer Städte in neuerer Zeit. Dargestellt an den Beispielen von Basel, Frankfurt a. M., Hamburg, Hannover und München, Göttingen 1960, S. 133.Google Scholar
page 419 note 1 ebd. S. 132.
page 419 note 2 ebd. S. 138.
page 419 note 3 ebd. S. 143 ff.
page 419 note 4 Köllmann, W., Sozialgeschichte der Stadt Barmen im 19. Jahrhundert, Tübingen 1960, S. 94.Google Scholar
page 419 note 5 Conze, W., Vom „Pöbel” zum „Proletariat”. Sozialgeschichtliche Voraussetzungen für den Sozialismus in Deutschland, in: Vierteljahrschrift f. Soziai- und Wirtschaftsgeschichte 41 (1954), S. 340Google Scholar nach Hitzemann, H., Die Auswanderung aus dem Fürstentum Lippe, Phil. Dissertation Münster 1953 (Maschschr.) S. 29.Google Scholar
page 420 note 1 Buchholz, E. W., Die Bevölkerung des Raumes Braunschweig im 19. Jahrhundert. Ein Beitrag zur Sozialgeschichte der Industrialisierungsepoche, Phil. Dissertation Göttingen 1952 (Maschschr.)Google Scholar
page 420 note 2 Braun, R., Industrialisierung und Volksleben. Die Veränderungen der Lebensformen in einem ländlichen Industriegebiet vor 1800 (Zürcher Oberland), Erlenbach-Zürich u. Stuttgart 1960, S. 38 ff.Google Scholar
page 420 note 3 Mitteilungen des Statist. Bureaus in Berlin I, Berlin 1848, S. 68 ff. und Jahrbuch für die amtliche Statistik des Preußischen Staats 2, 1867, S. 231 ff.; vgl. auch Conze, W., a.a.O., S. 346 f.Google Scholar
page 421 note 1 Braeker, U., Das Leben und die Abenteuer des Armen Mannes in Tockenburg (1781), ed. Wilbrandt, Karl, Berlin 1910, S. 176 u. 186.Google Scholar
page 421 note 2 R. Braun, a.a.O.
page 421 note 3 Klöden, K. F. v., Jugenderinnerungen, ed. Jähns, Max, Leipzig 1874.Google Scholar
page 422 note 1 Göhre, P. (Hg.), Denkwürdigkeiten und Erinnerungen eines Arbeiters. 2 Bde., Leipzig 1903/1904.Google Scholar
page 422 note 2 Vgl. dazu A. Koch, Arbeitermemoiren als sozialwissenschaftliche Erkenntnisquelle, in: Archiv f. Sozialwiss. und Sozialpol. 1929. Eckert, G., Aus den Lebensberichten deutscher Fabrikarbeiter. Zur Sozialgeschichte des ausgehenden 19. Jahrhunderts, Braunschw. 1954.Google ScholarStadelmann, R.Fischer, U. W., Die Bildungswelt des deutschen Handwerkers um 1800. Studien zur Soziologie des Kleinbürgers im Zeitalter Goethes, Berlin 1955.Google ScholarFischer, W., Quellen zur Geschichte des deutschen Handwerks. Selbstzeugnisse seit der Reformationszeit, Göttingen 1957Google Scholar, und Fischer, W., Arbeitermemoiren als Quellen für Geschichte und Volkskunde der industriellen Gesellschaft, in: Soziale Welt 9 (1958), S. 288–298.Google Scholar
page 423 note 1 Dieses Moment wird noch bei vielen Agrarhistorikern und Bevölkerungslehrern (z.B. Mackenroth) überbetont. Conze, Auch W., Vom „Pobel” zum „proletariat” (vgl. S. 419, Anm. 5), S. 337Google Scholar scheint dieser Überbetonung noch zu erliegen.
page 424 note 1 A. Skalweit, Das Dorfhandwerk vor Aufhebung des Städtezwanges, Frankfurt a.M. o.J.
page 424 note 2 Hinze, K., Die Arbeiterfrage zu Beginn des modernen Kapitalismus in Brandenburg – Preußen, Berlin 1927, S. 36Google Scholar f. u. 171.
page 425 note 1 Über den Zusammenhang von Militärverfassung und Sozialverfassung im Preußen des 18. Jahrhunderts s. Otto Büsch, Militärsystem und Sozialleben im Alten Preuen. 1713–1807. Die Anfänge der sozialen Militarisierung der preußisch-deutschen Gesellschaft (Veröff. d. Berliner Hist. Komm. beim Friedrich-Meinecke-Institut der Freien Universität Berlin Bd. 7), Berlin 1962.
page 425 note 2 Die besten Beispiele sind Schmoller, G., Zur Geschichte der deutschen Kleingewerbe im 19. Jahrhundert, Halle 1870Google Scholar, und Knapp, G. F., Die Bauernbefreiung und der Ursprung der Landarbeiter in den älteren Teilen Preußens. Leipzig 1887.Google Scholar
page 426 note 1 Grünberg, C., Die Bauernbefreiung und die Auflösung des gutsherrlichbäuerlichen Verhältnisses in Böhmen, Mähren und Schlesien. 2 Bde., Leipzig 1893/1894.Google Scholar Verein für Socialpolitik: Untersuchungen über die Lage des Handwerks in Deutschland. 9 Bde., Leipzig 1895–97.
page 427 note 1 Wie sehr schon in der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts das Handwerk inneren Struktur-verschiebungen unterworfen war, zeigt neben Schmoller (s. S. 425, Anm. 2) Abraham, K., Der Strukturwandel im Handwerk in der 1. Hälfte des 19. Jahrhunderts und seine Bedeutung für die Berufserziehung, Köln 1955.Google Scholar
page 427 note 2 Wernet, W., Das gewerblich-kleinbetriebliche Element im modernen Industrialismus, in: Schmollers Jahrbuch 74 (1954), S. 641–680.Google Scholar
page 428 note 1 Die wissenschaftliche Bewertung der „Landflucht” ist ebenso wie die der „Handwerker-frage” einem starken Wandel unterworfen gewesen. Sie wurde im späten 19. und frühen 20. Jahrhundert fast ausschließlich negativ beurteilt, während sie heute von Ökonomen sowohl wie von Soziologen nicht nur als „notwendig”, sondern sogar als „wunschens-wert” angesehen wird, da nur mit ihrer Hilfe Lebensstandard und Verhaltensweisen der Landbevölkerung der Industriegesellschaft angepaßt werden können. Der Wendepunkt der Beurteilung liegt für beide Fragen um das Jahr 1930, für das Handwerk gekennzeichnet etwa durch das vierbändige Werk Das deutsche Handwerk, Berlin 1930, für das Thema Landflucht durch das Werk von Quante, P., Die Flucht aus der Landwirtschaft. Umfang und Ursachen der ländlichen Abwanderung, Berlin 1933Google Scholar; s. auch von ds., Die Abwanderung aus der Landwirtschaft. Kieler Studien 48, 1958.Google Scholar
page 430 note 1 Eine Zusammenfassung der älteren Lehrmeinung der Soziologie über die soziale Struktur des frühindustriellen Fabrikbetriebes gibt Ralf Dahrendorf im ersten Teil seines Aufsatzes Industrielle Fertigkeiten und soziale Schichtung in: Kölner Zeitschrift für Soziologie und Sozialpsychologie 8, 1956, S. 540–568, bes. S. 542 ff. Dahrendorf selbst identifiziert sich zwar nicht mehr vollständig mit ds. Auffassungen, hält aber die Zwei-Phasen-Theorie aufrecht. Geiger, Ähnlich auch Th., Die Klassengesellschaft im Schmelztiegel, Köln 1949, S. 87 f.Google Scholar
page 430 note 2 Geiger, Neben Th., a.a.O., auch J. Chr. Papalekas (im Anschluß an H. Freyer), Wandlungen im Baugesetz der industriellen Gesellschaft, in: Zeitschr. f. d. ges. Staatswiss. 115, 1959, S. 15–23.Google Scholar
page 431 note 1 Auf diese innerbetrieblichen Statusunterschiede geht näher ein mein am 5.3.1963 vor der Gesellschaft für Sozial- und Wirtschaftsgeschichte in Mainz gehaltener Vortrag „Inner-betrieblicher und sozialer Status der frühen Fabrikarbeiterschaft”, der in einem von F. Lütge herausgegebenen Sammeiband der Mainzer Tagung im Verlag Gustav Fischer, Stuttgart, erscheinen wird.
page 432 note 1 Beispiele dafür wird ebenfalls meine in der vorigen Anm. genannte Veröffentlichung bringen.
page 432 note 2 Vgl. dazu allgemein Kerr, C., Dunlop, J. T., Harbison, F. H., Myers, C. A., Industrialism and Industrial Man. The Problems of Labor and Management in Economic Growth, Cambridge (Mass.) 1960, bes. S. 170Google Scholar ff. u. 197 ff.
page 433 note 1 Für Einzelheiten s. mein Buch „Der Staat und die Anfänge der Industrialisierung in Baden”. Berlin 1962, S. 367 ff.
page 434 note 1 Braun, R., Industrialisierung und Volksleben. Bd. II: Das 19. Jahrhundert (Manuskript), S. 9.Google Scholar
page 435 note 1 Kerr, C. u.a., Industrialism and Industrial Man, S. 168.Google Scholar
page 435 note 2 Das groteskeste Beispiel dafür ist wohl J. Kuczynski, der „eine fortlaufende Senkung der Kaufkraft” der Arbeiterlöhne für die 1. Hälfte des 19. Jahrhunderts gefunden zu haben glaubt. Da sich nach ihm auch die Arbeitsbedingungen in dieser Zeit „fortlaufend und schnell” verschlechtern, stellt sie „eine Periode unaufhörlicher, eintöniger Verschlechterung der Lage des Arbeiters” dar. (Die Geschichte der Lage der Arbeiter in Deutschland von 1800 bis zur Gegenwart. Band I, 3. Aufl., Berlin 1947, S. 48, 69, 75.) Über die Fragwürdigkeit seiner Berechnungen, besonders für das 20. Jahrhundert, hat Geiger, schon Th., Die Klassengesellschaft im Schmelztiegel, S. 62 ff.Google Scholar, das Nötige gesagt.