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Published online by Cambridge University Press: 02 December 2020
Bei allen Völkern ist die zu Sprüchen geprägte Volks- und Lebensweisheit uralter Besitz. Auch in der deutschen Literatur beginnen die zwei wesensverschiedenen Quellen der spruchhaften Literaturgattung, nämlich Volksgefühl und Uebersetzungsliteratur, bereits in früher Zeit zu fliessen. Lang müsste natürlich die Liste bei letzterer sein, wollte der mit ihr vertraute Kenner nur ein ungefähres Bild ihrer mannigfaltigen Wirkungsweise entwerfen. Denn ein Cato, Facetus, Moretus, Floretus, Regimen Scholarium, Speculum Morum, Liber de Contemptu Mundi, Traditio Morum, Liber Moralis, Phagifacetus, Poenitentiarius, usw. geben nur ein sehr unvollkommenes Bild der ungeheuren Masse der gnomischen Poesie, die vermittels mehr oder minder gut gelungener Uebersetzungen zur Verfügung gestellt, bei günstigen Voraussetzungen auf empfänglichen Boden fiel und so allmählich dem immer umfangreicher werdenden Spruchschatze einverleibt werden konnte. Früh wurden ausser deutschen Sprichwörtern auch verdeutschte in den Dienst der Schule gestellt, wobei, ganz der mittelalterlichen Gepflogenheit entsprechend, dem Schüler nebst gutem Latein auch gediegene Lebensweisheit übermittelt werden sollte. Dem Inhalt nach decken sich die meisten dieser Lehrsprüche mit guten Ratschlägen und Vorschriften, wie sie zumeist in der Bibel, den Kirchenvätern und in den moralisierenden Schriften der Alten zutage treten.
1 Vgl. diesbezgl. Carl Selmer, “An Unpublished Latin Collection of Pseudo-Aristotelian Paroimiai,” Speculum, xv (1940), 92 ff. Betreffs Gunzos Aristoteles-Sammlung siehe M. Manitius, Geschichte der lateinischen Literatur des Mittelalters, i, 535 und J. H. Baxter, Archivum Latinum Medii Aevi, i, 109. Sprichwörtersammlungen und die zahlreichen damit verbundenen Probleme werden eingehender behandelt von Archer Taylor in Problems in German Literary History of the Fifteenth and Sixteenth Centuries, The Modern Language Association of America, Gen. Ser. viii (New York, 1939), p. 84 ff.
2 Es wäre in dieser Hinsicht unrichtig, in dem Reim gereit: seit (Wol im wart, der vil gereit, Und weiz er rehte waz er seit) in Freidanks Bescheidenheit (H. Hildebrand in J. Kürschner, Dt. National-Litteratur, ix, 302 L. 23) einen Zusammenhang mit räten sehen zu wollen. Dagegen ist es ein interessanter Zufall, dass Luther in seinen Tischreden von Gelehrten im Kapitel ‘Von Aesopo’ sagt: Reden Kombt vom raden, a Consilio“ (D. Martin Luthers Werke. Krit. Gesamtausgabe. Tischreden, Nr. 4085 (Weimar, 1916), S. 126.
3 Diese Hs. wurde fälschlicherweise als MS 325 von C. Haltaus bezeichnet, der sie 1840 zu einer normalisierten Ausgabe des Liederbuches der Klara Hätzlerin benutzte. Im Jahre 1830 wurde sie von V. Hanka von Erzbischof Chlumčanský für das Nationalmuseum erworben. Für diese Mitteilung sei hier Dr. A. Dolenský, dem Bibliothekar des Nar. Mus. der beste Dank ausgesprochen.
4 Beschreibung und Text dieser Sammlung in C. Selmer, op. cit., p. 93. Der vorausgehende mhd. Text ist das Decretale “Exiit qui seminat” des Papstes Nikolaus III. vom Jahre 1279, der nachfolgende eine Übersetzung der Bulle “Exivi” des Papstes Klemens V. vom Jahre 1312.
5 So weist z.B. Cato (F. Zarncke, Der deutsche Caio) für ein vermutlich hier zugrunde liegendes blanaus (affabilis) esto in den einzelnen Fassungen folgende Entsprechungen auf: du solt dich senfte machen (p. 32); biss gutig (p. 103); du solt auch senffte vnd gůtig wesen (p. 103). Auch in der Catovorlage der Klara Hätzlerin (op. cit., p. 274: Ain lere wie Katho sein sun hiess leben, fol. 203r) findet sich die entsprechende Stelle, und zwar fast im selben Wortlaut: du solt dich dick erparmen. Es wäre jedoch voreilig Cato als Quelle für unsre Spruchsammlung betrachten zu wollen.
6 Derselbe Gedanke wie in L findet sich in einem Distichon Catos (ii, 22 in Zarnckes op. cit., p. 178): Consilium archanum tacito committe sodali / Corporis auxilium medico committe fideli, was sich in erweiterter Form wiederspiegelt in Historia Critica Catoniana ... itemque Desiderii Erasmi concinna expositio ... Amsterdami 1759 (Zarncke, op. cit., p. 274); Consilium arcanum tacito committe sodali / Solus uti nemo sufficit ipse sibi / Corporis auxilium medico committe fideli / Qui pariter socios, aeger et ipse, rogat. Auch dies erscheint wieder in deutscher Uebersetzung (op. cit., p. 43): Dínen tougen rât den sage / eime gesellen dem verdrage / tuo einem triuwen arzet kunt / swenn du werdest ungesunt. In ähnlicher Weise sagt auch ein andrer Sinnspruch des Mittelalters: Cordis secretum non noverit omnis amicus (J. Werner, “Lat. Sprichwörter und Sinnsprüche des Mittelalters,” Sammlung mittelalterlicher Texte, ed. A. Hilka 1912, p. 111).
7 Ein verwandtes Beispiel dafür scheint vorzuliegen, wenn z.B. eine längere Stelle aus Michael Scotus' Physionomia [Valde cavendum est omni tempore ab obviatione et societate hominis infortunati, ... cui diminitum sit aliquod membrum, ut oculus, manus etc., in verarbeiteter Form: Cave ab omni homine imperfectae indolis vel qui noxa affectus est, ut ab inimicis tuis cave (R. Foerster, «Scriptores Physionomici et Graeci et Latini,» Bibl. Scrpt. Graec. et Lat., ii, 194)] später in verkürzter Form [Cave a signatis; als solches auch in Bebels Proverbia Germanica metrica (ed. W. H. D. Suringar, Leyden, 1879, p. 328) aufgenommen)] vorliegt und jetzt noch im Volksmunde als «Hüte dich vor den Gezeichneten» weiterlebt. Dass dabei irrationale Faktoren mit hereingespielt haben, ist, wenn auch schwer festzustellen, so doch anzunehmen. (Vgl. darüber auch A. Wesselski, «Humanismus und Volkstum,» Zeitschrift für Volkskunde, N.F. vi (1934), 29, 30.
8 Vgl. z.B. Otto Frh. von Reinsberg-Düringsfeld, Die Frau im Sprichwort, 1862, p. 15: «Ein Geheimnis ist beim Weib verschlossen wie Wasser, in ein Sieb gegossen» (in dieser Form auch von K. F. W. Wander in das Dt. Sprichwörterbuch aufgenommen). Dies steht offenbar in Zusammenhang mit jenem Priamel, das man in F. K. Erlach, Die Volkslieder der Deutschen, i, 273 vorfindet: «Was Frauen wissen, ist behalten und verschlossen, als der ein Wasser in ein Sieb hat gegossen.» Auch Sebastian Brant verbreitet sich darüber, wenn er in seinem Narrenschiff (ed. K. Goedeke, Leipzig, 1872, p. 92, nr. 51) sagt: «Der ist ein narr, der heimlicheit / Sinr frouen oder iemans seit. ...»
9 Ueber sein Vorkommen im Schottischen, Englischen und bei Shakespeare, sowie in grösseren Sammelwerken siehe R. Jente, «A woman conceals what she knows not,» MLN xli, 4 (April, 1926), 253, 254. Jente weist hier als Quelle Seneca nach (Cont, ii, v, 12: Mulier ... quae id solum potest lacere, quod nescit).
10 Vgl. Le Roux de Lincy, Le Livre des Proverbes Français, ii, 361: «On ne doibt dire son secret à femme, fol et enfant,» Sprichwort des 16. Jhts.
11 Vgl. O. Frh. von Reinsberg-Düringsfeld, op. cit., p. 15.