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Starre und Offenheit der deutschen Universität: die Chancen der Reform

Published online by Cambridge University Press:  28 July 2009

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Von der deutschen Universität wird vielfach entweder gar nicht oder in apokalyptischer Erregung gesprochen (1). Je mehr die Kritiker von der Krise reden und schreiben, desto ungestörter scheinen die Träger der Universität und ihre Dienstherren die ihnen aufgetragenen Geschäfte zu verwalten. Für den, der in die soziale Wirklichkeit der akademischen Institutionen steuernd eingreifen will, ist offenbar weder die eine noch die andere Haltung angemessen: Wäre er der Meinung, daß die Universität in ihrer gegenwärtigen Form alle Wünsche und Aufgaben erfülle, dann bedürfte es seines Eingriffs nicht; glaubte er andererseits, der »Zusammenbruch« der deutschen Universität stünde unmittelbar bevor, dann könnte er sich allenfalls noch als Chronist dieser Katastrophe betätigen. Wenngleich tatsächlich mancher deutsche Soziologe in diesem Sinne erst mit der einbrechenden Dämmerung seinen Flug beginnen möchte, wollen wir hier versuchen, einige Aspekte der deutschen Universität im hellen Licht des Tages auf die Möglichkeit der Reform hin zu prüfen. Und weil dieses Unternehmen nachgerade zum Gemeinplatz geworden ist, soil es hier präziser darum gehen, die Punkte zu lokalisieren, an denen die Institution der deutschen Universität zum Nachteil ihrer Träger und Umwelt erstarrt bzw. für neue Entwicklungen offen ist, indem wir die Richtungen erörtern, in die die Entwicklung der Universität tatsächlich geht und eigentlich gehen sollte.

Type
Universität im Umbau: Anpassung oder Widerstand? Zweiter Teil
Copyright
Copyright © Archives Européenes de Sociology 1962

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References

(1) Statt diese Aussage hier im einzellien zu belegen, möchte ich auf einige Ausnahmen von dieser Regel verweisen. Zuden wichtigsten soziologisch informierten Studien und Analysen der deutschen Universität oder ihrer Elemente aus der Nachkriegszeit zählen (in der Reihenfolge ihres Erscheinens): Plessner, H., Untersuchungen zur Lage der deutschen Hochschullehrer (Göttingen, 1956)Google Scholar und die auf diesen Untersuchungen beruhenden Arbeiten von A. Busch, Ch. von Ferber uud Ch Graf von Krockow; Anger, H., Probleme der deutschen Universität (Tübingen, 1960)Google Scholar; Schelsky, H.: Einsamkeit und Freiheit. Zur sozialen Idee der deutschen Universität (Münster, 1960)Google Scholar; sowie jetzt Ben-David, J. und Zloczower, A.: »Universities and Academic Systems«, Europäisches Archiv für Soziologie, III (1962), 4584.Google Scholar — Neben solchen Analysen stehen in der deutschen Literatur zum Thema in den letzten Jahren Reformvorschläge im Vordergrund. Vgl. Neuhaus, dazu den Band von R.: Dokumente zur Hochschulreform 1945–1959 (Wiesbaden, 1961)Google Scholar sowie — uin nur drei wichtige jünsere Vorschiäge herauszugreifen — Jaspeks, K. und Rossmann, K.: Die Idee der Universität, für die gegenwär tige situation entworfen (Berlin, 1961)CrossRefGoogle Scholar; Rothe, H. W.: Über die Gründung einer Universität zu Bremen (Bremen, 1961)Google Scholar; Anregungen des Wissenschajtsrates zur Gestalt neuer Hochschulen (Bonn, 1962).Google Scholar

(2) Der seit 1958 bestehende Wissenschaftsrat setzt sich zu gleichen Teilen aus Vertretern der Ländern bzw. des Bundes und der Wissenschaft zusammen. Seine bisher wichtigste Leistung liegt in den Empfehlungen des Wissenschaftsrates zum Ausbau der wissenschajtlichen Einrichtungen (Tübingen, 1960)Google Scholar, deren Vorschläge zum Ausbau des Lehrkörpers und der Vergrößerung der Sachmittel von allen Länderministerien sofort akzeptiert worden sind.

(3) So Ch. von Krockow, Graf: »Fiktionen dur heutigen Universitätsverfassung«, in Soziohgie und moderne Gesellschaft (Stuttgart, 1959).Google Scholar

(4) Die Entwicklung der Universitäten der DDR ware em eigenes Thema. Gewisse Informationen gibt Reinhardt, R.: »The Universities in East Germany«, Survey, No. 40 (01 1962).Google Scholar

(5) Zu diesen werden in den nächsten Jahren 1. vier Neugründungen — Bremen, Bochum. Regensburg und eine südwest-deutsche Universität — und 2. einige Ausbau-Universitäten, darunter Mannheim (bisher Wirtschaftshochschule) und Karlsruhe (bisher Technische Hochschule), kommen. Außerdem wird die Einrichtung sogenannter Medizinischer Akademien, d. h. selliständiaer Medizinischer Fakultäten das Bild komplizieren.

(6) Dazu zählt vor allem die sogenannte Dreijahres-Klausel, nach der niemand innerhalb von drei Jahren eincn neueu Ruf bekommen kann, sowie alle Abmachungen, die darauf hinzielen, daß sich die Ministerien verschiedener Länder bei Verhand-lungen nicht überbieten. Auch sonst werden aber alle entscheidenden Maßnahmen in der Kultusrainister- Konferenz einmal besprochen, wodurch ein gewisses Maß an Koordination erreicht wird.

(7) Nur sehr allmählich werden gewisse Einschränkungen dieser Feststellung, insbesondere durch Forschungsmittel aus privaten Quellen nötig. Der Gedanke einer Stiftungs-Universität, also einer weitgeliend aus privaten Mitteln finanzierten neueu Hochschule wird gegenwärtig in Niedersachsen diskutiert.

(8) Hier gibt es gewisse Unterschiede zwischen den Ländern; insbesondere in Berlin uud Saarbrücken macht die Einschaltung eines gemischt staatlich-akademischen Kuriatoriums die Globalverabschiedung des Universitäts-Haushaltes im Abgeordnetenhaus bzw. Landtag möglich.

(9) Anregungen des Wissenschajtsrates usw (op. cit. S. 8).Google Scholar

(10) Aron, Raymond: »Quelques problèmes des universités françaises«, Europäisches Archiv für Soztologie, III (1962), S. 105.Google Scholar

(11) Entscheidender Schritt in diesem Prozeß war die Abwanderung großer naturwissenschaftlicher Institute von Göttingen und Tübingen nach München. Darin dokumentiert sich natürlich auch eine ailgemeinere Tendenz eiuer gewissen Differenzierung von Großstadt- und Kleinstadt-Universitäten. Doch haben all diese Tendenzen die grundsätzliche Gleichrangigkeit der deutschen Universitäten noch keineswegs beseitigt.

(12) Man könnte dieseu noch weitere Gesichtspunkte hinzufügen, darunter insbesondere die akademische Qualifikation der erworbenen Grade, sowie dann natürlich das Einkommen. Aber die drei folgenden sind die traditionell wichtigsten Aspekte der deutschen akademischen Hierarchie.

(13) Allein, in den Jahren, 1960Google Scholar bis 1962 hat sich die Zahl der Extraordinariate in der gesamten Bundesrepublik von 665 auf 605 verringert. Als Anteil an allen Lehrstühlen ausgedrückt, bedeutet dies wegen der gleichzeitigen Vermehrung der Ordinariate eine Abnahme von 20 auf 15%. Vgl. dazu, wie überhaupt zu jüngeren Zahlen für die gesamte Bundesrepublik, die »Übersicht über die Stellen für wissenschaftliches Personal in den Jahren von, 1960Google Scholar bis 1962«, Mitteilungen des Hochschulverbandes, X/4 (07 1962), S. 113 ff.Google Scholar

(14) Der Lage des Dozenten gilt die besondere Sorge vieler Universitätsstudien. Angesichts der unten geschilderten Lage des Assistenten erscheint das jedoch antiquiert. Das gilt sowohl für die Plessner-Studie (vgl. vor Busch, allem A., Der Privatdozent, Stuttgart, 1958Google Scholar, aber auch andere Arbeiten) als auch für die Studie von Anger sowie den Aufsatz von Ben-David und Zloczower.

(15) Einzige Ausnahme von dieser Regelist die Universität des Saarlandes in Saarbrücken, wo die Verfassung den Assistenten das Recht auf Gehör und daher auch Teilnahme durch Vertreter in den akademischen Gremien zugesteht.

(16) Schelsky, H., Einsamkeit und Freiheit, op. cit. S. 19.Google Scholar

(17) Demgegenüber geht die tatsächliche Entwicklung auf eine ständige Verlängerung des Stadiums, ja sogar der Studienansprüche hin. Öffentliche Stipendien werden in den meisten Fächern fünf Jahre lang gewährt. Prüfungsordnunsen werden durchweg so interpretiert, daß die in ihnen vongescbriebene Semesterzahl nur Mindestanforderungen bezeichnet. Hier verlaufen die faktischen Entwicklungen in scharfem Widerspruch zu den Möslichkeiten, ja Notwendigkeiten der Studienordnung.

(18) Vgl. Anrezungen des Wissenschaftsrates…, op. cit. S. 12 f.Google Scholar

(19) Tatsächlich hat sich insofern etwas ähnliches schon in der gegeuwärtigen deutschen Universität entwickelt, als die vielen Assistentenränge nutürlich auch Grade der Teilnahme am Prozeß der wissenschaftlichen Forschung in den Seminaren und Instituten bezeichnen. Man könnte sagen, duß die Assistentenschaft unter Einschluß der wissenschaftlichen Hilfskräfte faktisch eine ungeplante »Graduate School« darstellt.

(20) Vgl. Ben-David, und Zloczower, A., op. cit. S. 59.Google Scholar

(21) Die Frage des institutionnellen Verhältnisses der Forschungsinstitute zur Universität ist jedoch auf allen Ebenen eine ständige Quelle der Auseinandersetzung. Auch kann man generalisierend sagen, daß Naturwissenschaftler zvvar die Institute als die eigentlirhen Stütten der Forschung ansehen, aber wenn sie in diesen Instituten arbeiten, doch nach Kräften versuchen, eine akademische Stellung in der Universität zu erwerben odcr zu behalten.

(22) Vgl. Ben-David, und Zloczower, A., Op. cit., S. 59.Google Scholar

(23) Der Wissenschaftsrat hat in seinen, AnregungenGoogle Scholar diese Züge des Tübinger Systems aufgenommen, erwähnt jedoch nicht, daß in Tübingen selbst die Tendcnz der Entwicklung in Richtung aut eine Abschaffung solcher »fakultätsfremden Einmischungen« geht.

(24) Ob z. B. ein Institut gegründet bzw. erweitert wird, ist fast ausschließlichcin Gegenstand von Beruiungsverhandlnngen, d. h. es hängt von der Tatsache ab, daß ein Lehrstuhlinhaber an eine andere Universität berufen wird. Daß dies nicht notwendig das sachlichste Prinzip der institutionellen Entwicklung ist, bedarf keiner besonderen Betonung.

(25) Dies gilt für Bochum; doch ist noch ungewiß, ob man an diesem Plan bei der Gründung lesthalten wird.

(26) Op. cit. S. 18 f.

(27) Sicher liegt die Flexibilität insbesondere des amerikanischen, in geringerem Umfange auch des englichen Universitätssystems, im konkurrierenden Nebencinander privater uud öffeutlicher Hoch-schulen.

(28) Hierin verhalten Universitäten sich bzu Schulen wie etwa das Bundesverfas-sungsgericht (oder das amerikanische Supreme Court) zur übrigen Gerichtsbarkeit, und hierin liegt die außerordentliche Sonderstellung der höchsten Schulen bzw-Gerichte — als radikaler Stachel in wesentlich konservativen Strukturbereichen —begründet.

(29) Schelsky, H., Einsamkeit und Freiheit, op. cit. S. 17.Google Scholar

(30) Heute stellt sich heraus, daß die Neuerungen in Berlin und Saarbrücken — mit gewissen Einschränkungen für das wernoch immer einigermaßen funktionierende »Kuratorium« zwischen Universität und Staat — eben nicht mit dem Hut zur Reform eingeführt wurden, so daß seither in beiden Universitäten die Absicht überwog, von den anderen auf Grund von Ununterscheidbarkeit auerkannt zu werden.

(31) Op. cit. S. 61.

(32) Daher wäre es höchst gefährlich, in alten Universitäten sogenannte »Patenfakultäten« für die neuen zu bestimmen!

(33) Die moisten Beschlüsse im Hinblick auf die Neugründungen in Deutschland sind schon gefaßt worden, und nicht alle diese Beschlüsse sind von rcformiurischer Phantasie beflügelt worden. Die Hoffnung der Reform verbindet sich daher vor allem mit der geplanten sudwestdeutschen Uuiverausität (in Konstanz oder Ulm).