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Soziale Normen

Published online by Cambridge University Press:  15 January 2010

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Die Normgebundenheit des sozialen Verhaltens ist eine einfache, ja triviale Alltagserfahrung: wir geraten ständig an Kreuzungen, die mit grünen und roten Signalen versehen sind, — in soziale Situationen, die offenbar bereits von anderen entdeckt, fixiert, vorgeformt sind. Es steht uns nicht frei, diese Vorgeformtheit, diese Besetzung von Situationen mit positiv und negativ bewerteten Alternativlösungen ohne weiteres zu ignorieren. Wenn wir uns um die grünen und roten Lichter nicht scheren, wird unser Verhalten dennoch von anderen als eine Antwort auf diese Signale interpretiert, — auch wenn es gar nicht in unserer Absicht lag, uns eine Frage stellen zu lassen. So können wir in einer ersten Annäherung sagen : die Normgebundenheit sozialen Verhaltens bedeutet, daß soziale Situationen mit bestimmten Alternativen belastet sind, die auf irgendwelchen Verabredungen zu beruhen scheinen; Verabredungen, von denen man nicht recht weiß, wer sie eigentlich getroffen hat; Verabredungen, die wir nicht aus der Welt schaffen, wenn wir sie von Fall zu Fall nicht akzeptieren. Sie sind irgendwie so auf Dauerhaftigkeit angelegt, daß sie vom Einzelnen nicht beliebig außer Kraft gesetzt werden können.

Type
Politique et Société
Copyright
Copyright © Archives Européenes de Sociology 2001

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References

* Ich lege hiennit meine Antrittsvorlesung an der Universität Basel, gehalten am 15. November 1960, in unveränderter Form vor. Sie setzt, dem Anlaß entsprechend, keine soziologischen Vorkenntnisse voraus. Mein Ziel war es, wie im Text formuliert, unter dem Vielen, was uns im sozialen Leben selbstverständlich erscheint, einige derjenigen Selbstverständlichkeiten darzustellen, die es wirklich sind. Die hinzugefügten Anmerkungen geben einige weiterführende Hinweise.

(1) Zur Frage der Universalität des Inzest-Tabus vgl. Murdock, George Peter, Social Structure (New York, 1949), S. 284 ff.Google Scholar Murdock gelangt zu einigen bemerkenswert klaren und eindeutigen Verallgemeinerungen, die aber auf einem begrenzten Material beruhen. Gegenbeispiele gegen die Thesen Murdocks finden sich z.B. bei Thurnwald, Richard, Die menschliche Gesellschaft inihren ethno-soziologischen Grundlagen, Bd. 11 (Berlin und Leipzig, 1932), S. 162 f.Google Scholar

(2) Herodot, III, 38, zitiert in der Übersetzung von J. Chr. F. Bähr (Berlin o.J.) Herodot miβversteht offensichtlich den Sinn des nomos-Begrifis bei Pindar. — Zum sog. Endokannibalismus vgl. Herodot, I, 216 und III, 99.

(3) Die Bedeutung der Voraussehbarkeit sozialen Handelns betont insbes. Geiger, Theodor, Vorstudien zu einer Soziologie des Rechts, in Acta Jutlandica XIX, 2 (Aar-hus und Kopenhagen, 1947), S. 14 f, 57 f.Google Scholar

(4) Die Gleichheit bezw. Vergleichbarkeit von sozialen Situationen ist also nicht, wie gelegentlich unterstellt wird, eine methodische Fiktion des Soziologen, der soziale Ordńungen interpretiert; sondern eine Abstraktionsleistung, die stets vollzogen werden muβ, wo Menschen ihr Handeln in verbindlicher Form voraussehbar machen. Soziale Ordnungen beruhen auf Abstraktionsleistungen dieser Art.

(5) Linton, R., The Study of Man (New York, 1936).Google Scholar Neue Gesichtspunkte entwickelt: Dahrendorf, Ralf, Homo Sociologicus, Ein Versuch zur Geschichte, Bedeutung und Kritik der Kategorie der sozialen Rolle (Köln und Opladen, 1959)Google Scholar Dort auch weitere Literatur.

(6) Vgl. hierzu Merton, Robert K.; Bureaucratie Structure and Personality, in Social Theory and Social Structure 1 (Glencoe, 1957)Google Scholar und Newcomb, Theodore M., Sozialpsychologie (Meisenheim am Glan, 1959), S. 211 f.Google Scholar

(7) Leider hat sich eine einheitliche Terminologie und Klassifikation sozialer Gebilde noch nicht durchgesetzt. Ich gebrauche hier «soziale Einheit» (social unit) als Oberbegriff für soziale Gruppen und Kollektive. — Dabei möchte ich auf das in der Regel angeführte Begriffsmerkmal des «Wir-Bewuβtseins», «Solidaritäts-Empfindens» oder dergl. verzichten. Es genügt m.E., soziale Einheiten als Gefüge aufeinander bezogener sozialer Rollen zu kennzeichnen. Hiermit ist das Verbindende — die Unterscheidung von «innen» und «auβen» — bereits zureichend formuliert. Und zwar nicht nur auf Grund der Bezogenheit der sozialen Rollen aufeinander. Vielmehr steckt in jeder sozialen Rolle bereits eine «Zugehörigkeitshypothesct», die «Mitglieder» im Unterschied zu «Nicht-mitgliedern» verbindet und die erst, die Formulierung partikularer Rechte und Pichten legitimiert. (Die Zugehörigkeit zu einem Staatsverband, die Zugehörigkeit zu einer Kernfamilie ist in der Formulierung der sozialen Rolle «Staatsbürger», «Familìenvater» mitgesetzt.)

(8) Geiger, Theodor, op. cit. S. 33.Google Scholar

(9) Die Analysen der Reaktionen auf Normbrüche (und auch im weiteren Sinne: der Präventive gegen Normbrüche) grup pieren sich um das Stichwort «soziale Kontrolle». Einen wichtigen Beitrag zur Theorie der sozialen Kontrolle gibt Homans, George Caspar, The Human Group (New York, 1950).Google Scholar Dt.: Theorie der sozialen Gruppe (Köln und Opladen, 1960). («Die spezifischen Kontrollen, das heiβt die zwischen Nichtbefolgung einer Norm durch einen Menschen und den verschiedenen Folgen jener Nichtbefolgung bestehenden Beziehungen, sind nicht mehr und nicht weniger als die alten, diesmal differential betrachteten Beziehungen der gegenseitigen Abhängigkeit.» S. 283).

(10) Dies ist bekanntlich der Grundgedanke der Simmels, Soziologie Georg, dem ich mich hier auch in der Formulierung anschlieβe; vgl. Soziologie 4 (Berlin, 1958), S. 5.Google Scholar Über die Miβverständnisse, die mit der Abstempelung der Leistungen Simmels als spezifisch «formalen» Soziologie verbunden sind: Tenbruck, Friedrich H., Simmel, Georg, Kölner Zeitschrift für Soziologie und Sozialpsychologie, X (1958), 587614.Google Scholar