Published online by Cambridge University Press: 02 March 2023
DIESER AUFSATZ UNTERSUCHT den Topos blinde Frauen und Männer im deutschen Trivialroman, speziell in seinen Subgenres Liebes-, Heimat-, Berg-, Adels- und Arztroman. Bisher gibt es solche Studien vor allem zur sogenannten Hochliteratur. Zu nennen wäre als jüngstes Beispiel Die Stadt der Blinden von Saramago. In diesen „esoterischen” Werken treten Blinde und Blindheit zumeist als Symbole für komplexe und philosophisch radikalisierte Beziehungen zwischen Mensch, Gesellschaft und Selbst auf. Breit ist hier die Kluft zwischen einer angemessenen werkimmanenten Interpretation und einer Bezugnahme auf soziale Schaffensvoraussetzungen.
Dagegen kann im Trivialroman aufgrund seiner stereotypischen Machart eher etwas über das Verhältnis der Gesellschaft, respektive einer bestimmten sozialen LeserInnenschaft, zum Thema Blindheit gefunden werden. Hierbei sind unter anderen folgende stereotype Muster gängig: Blinde, schöne Frau trifft reichen, aber im Gesicht entstellten Mann. Nachdem die Frau zumeist durch Operation wieder sehend geworden ist, wähnt der Mann, seine Frau würde ihn nicht mehr lieben, so sie sein entstelltes Gesicht sähe. Er irrt sich, denn — und hier liegt sicherlich ein Stück der in diesen Romanen kreierten über das Thema Behinderung hinausgehenden Moral — eine „echte Frau” sieht und liebt mit dem Herzen. Ganz anders entwickelt sich dagegen die typische Narration, wenn ein blinder Mann in diesen Romanen auftritt. Der blinde von der Welt und dem Leben verbitterte Mann wird von liebevoller sehender Frau mit viel Mühe getröstet und wieder lebenstüchtig gemacht. In diesen Erzählungen treten die Differenzen sehend-blind und männlichweiblich gleichermaßen wirkmächtig nebeneinander auf. Meine These ist: Blindheit ist der Katalysator, der die jeweiligen Geschlechterrollen und die mit ihnen verbundenen Moralvorstellungen akzentuiert und in ein körperlich veranschaulichtes Wertefeld einordnet. Der Trivialroman greift dabei auf zwei Topoi okzidentaler Kultur zurück: Blindheit als Neuanfang und eine paradoxe Trennung des Sehens in ein physisches und ein geistiges Sehen. Blindheit wird keinesfalls realistisch wiedergegeben; sie inszeniert umfassende Wertvorstellungen und umgreifende Moralideale, die körperlich und sinnlich konkretes, gegendertes Alltagsverhalten normieren. Blindheit ist als narrative Prothese eingebunden in übergreifendere Sinnkonstruktionen menschlicher Selbst- und Weltdeutung im Sinne von Humanisierung zu moralischem und sozialem Verhalten. Ihre narrative Kraft liegt hierbei in ihrem ikonischen Potential. Abschließend soll ein Vergleich der letzten fünfzig Jahre ansatzweise versuchen, Veränderungen und Kontinuitäten in dieser Darstellung zu identifizieren
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