Published online by Cambridge University Press: 09 February 2021
Kein anderer hat den Begriff und das Verständnis dessen, was in einem näher zu erläuternden Sinne als politische Dramaturgie zu bezeichnen wäre, so geprägt wie Bertolt Brecht. An keinem anderen Beispiel kann man besser den Umschlag von einer politischen in eine polizeiliche Dramaturgie beobachten. Politische wie polizeiliche Dramaturgie antworten in seinem Fall auf eine primordiale, de-konstitutive Fremdheit. So lauten die drei Hypothesen, die ich nachfolgend in drei Schritten vorstellen möchte: (1) Zunächst stelle ich in großer Verkürzung die meinen Überlegungen zugrundeliegende Theorie der im achtzehnten Jahrhundert entstehenden modernen Dramaturgie als einer unauflösbar ambivalenten Form der Regierung der Künste vor, als “Polizey” und “Politik.” (2) Im zweiten Schritt rekapituliere ich knapp Brechts Arbeit als Dramaturg und gehe dann etwas ausführlicher auf sein Stückfragment Aus nichts wird nichts ein, das den später mehrfach zitierten Eintritt eines Fremden, des “Denkenden”—in meiner Terminologie: eines politischen Dramaturgen—ins Theater szenisch darstellt. (3) Im dritten Schritt skizziere ich, dass Brechts spätere Arbeit am Berliner Ensemble mit dem Umschlag seiner politischen in eine polizeiliche Dramaturgie einhergeht, die, was das im radikalen Sinne Politische von Brechts dramaturgischer Arbeit war, im Brecht-Theater nach Brecht in Vergessenheit geraten ließ.
Polizey und Politik—eine kurze Theorie moderner Dramaturgie
In älteren Darstellungen wird der Begriff des Dramaturgen vom spätgriechischen Dramatourgos, dem Autor, aber auch Aufführungsleiter, hergeleitet. Als moderne Instanz führt man ihn auf das achtzehnte Jahrhundert, speziell auf Lessing, zurück. Ihm, so die geläufige Sicht, verdanke das moderne Theater, einen “umfassend gebildeten und unabhängigen Intellektuellen im Theater” zu haben. Als dessen Kernaufgaben galten Kritik, Reflexion und Vermittlung. Im Kontext neuerer, vorwiegend englischsprachiger Forschung wird Dramaturgie abgelöst von der vormals zentralen Aufgabe, einen Text auf die Bühne zu bringen. Man spricht von Dramaturgien des Schauspielers, des Zuschauers, der Erziehung, des Tanzes, des Visuellen, des Devised Theatre und der Architektur, um nur einige Gebiete zu benennen. Der Dramaturgie wird, so etwa Konstantina Georgelou, Efrosini Protopapa und Danae Theodoridou, eine katalytische Funktion bei jeder künstlerischen Arbeit zugeschrieben, die nicht an den explizit ausgewiesenen Beruf des Dramaturgen gebunden ist und mit Öffnung und Bildung von Räumen der Verhandlung, der Konflikte, des Dissenses, des Orientierungsverlusts, des Nicht-Wissens, der Unterbrechung, des Eingriffs und der Imagination zu tun hat, die neue soziale und politische Entwürfe ermöglichen.
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