Book contents
- Frontmatter
- Officers of the International Brecht Society
- Contents
- Editorial
- List of Abbreviations
- Among Strangers—Brecht’s Figures of Strangeness
- From East to West and Vice Versa—Geographic Interconnections
- Global Estrangements—Brecht in the Age of Globalization
- Book Reviews
- Notes on the Contributors
Bertolt Brecht—ein Dekadenter Künstler? Rekonstruktion Einer Debatte von 1949
Published online by Cambridge University Press: 09 February 2021
- Frontmatter
- Officers of the International Brecht Society
- Contents
- Editorial
- List of Abbreviations
- Among Strangers—Brecht’s Figures of Strangeness
- From East to West and Vice Versa—Geographic Interconnections
- Global Estrangements—Brecht in the Age of Globalization
- Book Reviews
- Notes on the Contributors
Summary
Bertolt Brecht kehrt 1948 nach Berlin zurück und schon bald findet der ehemalige Emigrant sich verstrickt in kulturpolitische Diskussionen und Versuche der politischen Einflussnahme. Diese begannen bereits weit vor der Gründung der DDR im Zusammenspiel von ebenfalls zurückgekehrten SED-Parteimitgliedern, die im neuen Staat ihre Einflusszonen klären wollten, und der Sowjetischen Militäradministration (SMAD), die wiederum kulturpolitische und ästhetische Leitlinien aus der Sowjetunion auch auf die neuen Vasallen in Ost- und Mitteleuropa übertragen wollten. Brecht als ein herausragender Künstler, dessen Werk auch im nicht-sozialistischen Ausland rezipiert wurde, ist hierbei ein immer wiederkehrender Fokus, auf den die Kritik sich konzentriert. In der Literatur wird dabei vor allem die Formalismus-/Realismus-Debatte in den Mittelpunkt gestellt, deren Beginn sich etwa 1949 verorten lässt. In diesem Artikel möchte ich den Schwerpunkt aber auf den Vorwurf der Dekadenz richten, der 1948 die kulturelle Debatte dominiert, dann aber dem Formalismuskomplex untergeordnet und in ihm als Grundierung wirkt. Dabei nimmt der Dekadenzvorwurf gegen Brecht einen spezifischen Wendepunkt im DDR-Diskurs über Dekadenz und Kunst ein, der sich von seinen Anfängen als Kritik an westlichen Künstlern über dekadente Tendenzen von DDR-Künstlern und Dekadenz als ideologischer Kampfbegriff im Ost-West-Gegensatz des Kalten Krieges bis zur repressiven Polizeikategorie des negativ-dekadenten Jugendlichen entwickelt. Der Begriff ist freilich älter. Er war besonders im neunzehnten Jahrhundert modern und findet sich etwa bei Alexis de Tocqueville, Charles Baudelaire, Joris-Karl Huysmans und—für den deutschen Raum sicher am einflussreichsten—bei Friedrich Nietzsche, der aus dem Verfall der Kultur den Übermenschen formen wollte. Dies brachte ihn, lange bevor der Nationalsozialismus Realität wurde, in dessen geistige Nähe, was wiederum von der antagonistischen sozialistischen Literatur- und Kulturtheorie zu dem von V. I. Lenin inspirierten Theorem führte, dass Kapitalismus immer zu Dekadenz und damit immer zum Faschismus führe.
Ich möchte in diesem Artikel klären, was die spezifischen Umstände sind, die Brecht 1949 in die Schusslinie der Dekadenzkritiker bringt. Denn dieser Kampfbegriff ist zu jenem Zeitpunkt kaum zufällig gewählt, sondern steht in einem konkreten Machtnetz, dass ich analysieren möchte. Mit Michel Foucault möchte ich fragen, wie es kommt, dass dieser Vorwurf der volksfremden Dekadenz an dieser Stelle erschienen ist und kein anderer.
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- The Brecht Yearbook / Das Brecht-Jahrbuch 45 , pp. 166 - 179Publisher: Boydell & BrewerPrint publication year: 2020