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Über den Versuch, auf schiefer Ebene einen aufrechten Gang beizubehalten. Erinnerung an Werner Mittenzwei
from Tribute
Summary
Mit Werner Mittenzwei, der am 14. Februar 2014 in Berlin verstarb, verlor die Brecht-Forschung einen ihrer bedeutendsten Vertreter. Wie kaum ein anderer Autor zog ihn dieser Stückeschreiber zeit seines Lebens in seinen Bann. Schon als Zwanzigjähriger fuhr Mittenzwei als Junglehrer im sächsischen Limbach immer wieder nach Chemnitz und Leipzig, um dort Aufführungen Brechtscher Dramen zu sehen. Aufgrund dieser Eindrücke wäre er damals am liebsten Dramaturg geworden. Er verließ daher in den frühen fünfziger Jahren den Schuldienst und ging nach Ostberlin, um dort seiner Leidenschaft fürs Theater zu frönen. Doch die SED legte ihm – wegen seiner schnell erworbenen literaturwissenschaftlichen Kenntnisse – nahe, lieber auf germanistischem Gebiet zu promovieren. Und er tat es, allerdings mit der Absicht, mit einer Arbeit über Bertolt Brecht. Von der “Maßnahme” zu “Leben des Galilei” die sowjethörigen Dogmatiker innerhalb der Partei, die diesen Dichter im Gefolge von Andrej Shdanow noch immer als “Formalisten” empfanden, davon zu überzeugen, dass Brecht bereits seit dem Ende der Weimarer Republik “auf ihrer Seite gestanden” habe. Die gleiche Tendenz liegt auch vielen seiner späteren Arbeiten zu Brecht zugrunde, worin ihn vor allem Helene Weigel und Elisabeth Hauptmann bestärkten.
Nachdem er sich 1964 mit einer Untersuchung zu Gestaltung und Gestalten im modernen Drama. Zur Technik des Figurenaufbaus in sozialistischer und spätbürgerlicher Dramatik habilitiert hatte, wechselte er vom Institut für Gesellschaftswissenschaften beim Zentralkomitee der SED zur ostberliner Akademie der Wissenschaften über und wurde zugleich Mitglied des künstlerischen Beirats am Berliner Ensemble, wo er sich – wenn auch vergeblich – für Volker Braun und Heiner Müller einzusetzen versuchte. Ja, als er sich bei einer Akademiedebatte für einen “erweiterten Realismusbegriff” aussprach, wurde er 1967 von Walter Ulbricht auf einer der üblichen Kulturtagungen als “verquaster Philosoph” abgekanzelt, um so jede Abweichung von den Leitlinien des von der SED befürworteten “Bitterfelder Wegs” zu unterbinden.
Etwas erfolgreicher war lediglich sein Bemühen, in der wenige Jahre später beginnenden Honecker-Ära den seit 1956 als “Renegaten” abgestempelten Georg Lukács zu rehabilitieren. Und auch im Hinblick auf Brecht gab es von nun ab von Seiten der SED kaum noch Bedenken, sich für diesen lange Zeit als “unbequem” empfundenen Autor einzusetzen. Um diese Situation zu nutzen, drang Mittenzwei darauf in Publikationen wie Brechts Verhältnis zur Tradition (1972), Brecht und die Schicksale der Materialästhetik. Illusion oder versäumte Entwicklung einer Kunstrichtung (1975), Wer war Brecht? Wandlung und Entwicklung der Ansichten über Brecht (1977) sowie Der Realismus-Streit um Brecht.
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- The Brecht Yearbook / Das Brecht-Jahrbuch 39The Creative Spectator, pp. 1 - 3Publisher: Boydell & BrewerPrint publication year: 2016