Marcelo Badaró Mattos. Gemeinsame Erfahrungen: Sklaverei und “Freiheit” im Prozess der Formierung der arbeitenden Klasse in Rio de Janeiro (1850–1910).
Der Autor untersucht den Prozess der Formation der Arbeiterklasse in Rio de Janeiro in der Periode zwischen dem Ende des neunzehnten und den frühen Jahren des zwanzigsten Jahrhunderts. Er überprüft die signifikanten Erfahrungen von Arbeitern in der Sklaverei und “freien” Arbeitern, während des Prozesses der Formierung der Arbeiterklasse, und versucht nachzuweisen, dass die Geschichte dieser Entwicklung in Brasilien begann, während Sklaverei noch existierte. Durch gemeinsame Arbeits- und Lebenserfahrungen in Rio Janeiro wie in anderen brasilianischen Städten, in denen die Sklaverei während des neunzehnten Jahrhunderts weitverbreitet war, teilten Arbeiter in Sklaverei und “freie” Arbeiter Formen der Organisation und des Kampfes und entstanden gemeinsame Werte und Erwartungen, die in späteren Perioden der Klassenbildung von zentraler Bedeutung waren.
Chris Leonards und Nico Randeraad. Transnationale Experten der Sozialreform, 1840–1880.
Wer waren die Menschen in der entscheidenden Phase der Sozialreform in Europa zwischen 1840 und 1880 und wie waren sie miteinander verbunden? Die Autoren erörtern eine Methode einer transnationalen Gemeinschaft von Experten, die sich auf soziale Reformen konzentrieren und Wege beschreiten, auf denen diese Experten die Verbreitung ihres Wissens über die Grenzen hinweg gemeinsam teilen. Nach einer Diskussion der Konzepte der Sozialreform, der Transnationalisierung und des Transfers zeigen die Autoren wie sie eine Datenbank für Besucher sozialer Reformkongresse in der Periode 1840–1880 gebildet haben, und erklären sie, wie sie eine Kerngruppe von Experten aus dieser Datenbank herangezogen haben. Diese “Kongresselite” ist das Thema des zweiten Teils dieses Aufsatzes, in dem sie Reisen, Kongresse, Veröffentlichungen und Korrespondenzen sowie die Mitgliedschaft in Berufsverbänden diskutieren. Die Autoren argumentieren, dass einzelne Mitglieder dieser Elite, gestützt auf das Prestige ihrer internationalen Kontakte, Reformen in ihren Heimatländern geformt haben. Der Artikel schließt mit der Forderung nach weiteren Untersuchungen des Einflusses der transnationalen Elite, die in der Lage ist, konkrete soziale Reformen in den verschiedenen nationalen Rahmenbedingungen zu beurteilen und fragt, inwiefern sie als “epistemische Gemeinschaft in der Entwicklung” angesehen werden kann.
Sandra Swart. “Die Welt der Pferde”: Eine südafrikanische Fallstudie der Beschreibung von Tieren in der Sozialgeschichte.
Die Autorin untersucht neue Wege, um die Geschichte, im Zusammenhang mit dem Leben der Tiere, zu schreiben. Sie offeriert ein Sample, wie Sozialgeschichte durch die Fokussierung auf die Geschichte aus einer Tierperspektive bereichert werden kann – und ebenso wie die Methoden der Sozialgeschichte die Geschichtlichkeit von Tieren zeigen. Die Fallstudie bezieht sich auf die südafrikanische Geschichte und ist auf Pferde gerichtet. Die Autorin ist der Auffassung, dass erstens Pferde die Geschichte nicht nur auf der Makroebene verändern, sondern auch in der kleinen, intimen Arena des Körpers, was Febvres Forderung einer sensorischen Geschichte entspricht. Zweitens untersucht sie die soziale Geschichte der langjährigen Auseinandersetzung mit dem Handeln und dem Verständnis soziokultureller Erfahrungen aus der Perspektive derer, die diese Erfahrungen tatsächlich gemacht haben – in diesem Fall aus der Perspektive des Pferdes. Drittens fragt die Autorin, wie Sozialgeschichte, die die Tiere ernst nimmt, geschrieben werden sollte, und so eine neue Dimension an unser Verständnis hinzufügen könnte – mit Beispielen aus dem am häufigsten analysierten Geschehen der südafrikanischen Geschichte, der südafrikanische Krieg (1899–1902).
Leo Lucassen. A Brave New World: Die Linke, Sozialtechnik und Eugenik im Europa des zwanzigsten Jahrhunderts.
Der Autor vergleicht Theorien und Sozialpolitik der Sozialdemokraten und anderer Repräsentanten des linken politischen Spektrums in sechs europäischen Ländern und versucht zu erklären, warum in einigen Ländern wie Schweden, Norwegen und die Schweiz gesellschaftliche Gruppen zum Ziel einer illiberalen und negativen eugenischen Politik insbesondere der Isolierung und Sterilisation geworden sind, während anderenorts linke Politiker und Theoretiker weit weniger radikal waren. Ein auffälliges Merkmal ist der Unterschied zwischen einer kommunitarisch-organischen und einer klassengebundenen Form des Sozialismus. Anschliessend an Zygmunt Baumann, Michel Foucault und James C. Scott, unterscheidet der Autor eine erste Variante der Bürgerschaft in der es Bedingungen gibt, und die nur für Menschen mit der richtigen sozialen Einstellung gemeint ist. Eugenik war vollkommen im Einklang mit dieser Auffassung, da sie eine Diagnose anbot und zugleich eine Heilung. Prominente Vertreter dieses Ansatzes waren die Webbs in Großbritannien und die Myrdals in Schweden. Ein solcher organisch-medizinischer Ansatz war weniger wahrscheinlich in einer klassenabhängigen Variante des Sozialismus, die in einer starken Zivilgesellschaft eingebettet ist. Solange Sozialdemokratie und andere linke Politiker glaubten, soziale Probleme wie Armut und Ungleichheit würden in erster Linie durch ein kapitalistisches System verursacht, gab es wenig Anlass für eine eugenische Lösung.