Die Geschichte Hamlets in Deutschland ist noch nicht geschrieben. Den Anregungen, die Robert Prutz bereits im Jahre 1847 gab, ist zwar durch das Buch von Alexander v. Weilen neuerdings Folge gegeben, aber mit der Bühnenlaufbahn des Dänenprinzen ist die Bolle, die dieser Charakter im Geistesleben der ganzen Nation spielte, keineswegs erschöpft. Als problematische Natur, gab er seit Goethes Wilhelm Meister den Kommentatoren immer neue Rätsei auf, und gleich dem Werterfieber, das durch Goethes ersten Roman entfesselt wurde, kann man von einem wahren Hamletfieber sprechen, das in den Köpfen des beginnenden 19. Jahrhunderts spukt. Schliesslich wird Hamlets Situation das Sinnbild für Deutschlands ganze politische Not, Zerrissenheit und Entschlusslosig-keit: das Gleichnis “Deutschland ist Hamlet” bezeichnet den Höhepunkt der literarischen Epidemie. Zur Geschichte der Vorstellung und des Wortes, das namentlich durch Freiligraths Glaubensbekenntnis (1844) berühmt geworden ist, hat R. M. Meyer in einem Aufsatz mit anerkannter Belesenheit beigetragen. Demnach ist Ludwig Börne (1818) der Erste, der die Selbsterkenntnis, mit der bereits die Bomantiker im Hamletscharakter sich spiegelten, verallgemeinert hat. “Shakespeare ist ein Britte,” sagt Börne in seiner bekannten Hamletbesprechung. “Hätte ein Deutscher den Hamlet gemacht, wiirde ich mich gar nicht dariiber wnndem. Ein Deutscher braucht nur eine schöne leserliche Hand dazu. Er schreibt sich ab, und Hamlet ist fertig.”