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“Erlebte Rede” und “Innerer Monolog” in Den Erzählenden Schriften Arthur Schnitzlers

Published online by Cambridge University Press:  02 December 2020

Werner Neuse*
Affiliation:
Middlebury College

Extract

Zur Wiedergabe von Worten, Gedanken und Gefühlen seiner Personen bedient sich der moderne Erzähler der direkten Rede (D), der indirekten Rede (I), der erlebten Rede (E) oder des Monologs (M). Während Form und Bedeutung von D und I allgemein bekannt sind, haben die beiden letzten Arten der Rededarstellung, E und M, erst in jüngerer Zeit die Aufmerksamkeit der Grammatiker und Stilisten auf sich gezogen.

Type
Research Article
Information
PMLA , Volume 49 , Issue 1 , March 1934 , pp. 327 - 355
Copyright
Copyright © Modern Language Association of America, 1934

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References

1 Dieser durch Etienne Lorcks Schrift Die “erlebte Rede” (Heidelberg, 1921), gebräuchlich gewordene Ausdruck dürfte kaum durch einen andern, besseren ersetzbar sein, obwohl es sich bei diesem Stilmittel meist nicht um eigentliche Rede handelt. Vor Lorck hatte Eugen Lerch in seinem Artikel “Die stilistische Bedeutung des Imperfektums der Rede,” GRM, vi (1914), gesagt, durch E würde Beschreibung zum Erlebnis. 1924 übernahm Oskar Walzel in seinem Aufsatz “Von ‘erlebter’ Rede,” Zs. für Bücherfreunde, H. 112 (später aufgenommen in Das Wortkunstwerk [Leipzig, 1926], S. 207–230), den Ausdruck von Lorck. Weitere Literatur: Marguerite Lips, Le Style indirect libre (Paris, 1926)—mit Literatur; Werner Günther, “Probleme der Rededarstellung,” Die Neueren Sprachen, Beiheft 13 (Marburg, 1928)—mit Literatur. Einzeldarstellungen u.a.: Marguerite Lips, “Le Style indirect libre chez Flaubert,” Journal de Psychologie normale et pathologique, xviii (1920); Otto Funke, “Zur ‘erlebten Rede’ bei Galsworthy,” Engl. Stud., lxiv (1929).

2 Vgl. Fritz Karpfs Besprechung von Günthers Schrift im Beiblatt zur Anglia, H. 5. (Mai 1931).

3 Arthur Schnitzler, Gesammelte Werke: Erzählende Schriften, sechs Bände. Dazu “Spiel im Morgengrauen,” in dem Sammelband Traum und Schicksal. Ferner Flucht in die Finsternis (1931), und “Der letzte Brief eines Literaten,” Neue Rundschau (Januar 1932). Die in Zeitschriften verstreuten frühen Novellen und einige aus dem Nachlaß sind jetzt zugänglich in dem Bändchen Die kleine Komödie (1932), mit einem Nachwort von Otto P. Schinnerer. Sämtlich S. Fischer Verlag, Berlin.

4 Vgl. Funke, a.a.O., S. 458.

5 Vgl. Luise Thon, Die Sprache des deutschen Impressionismus (München, 1928).

6 Elis Herdin, Stud. über Bericht und indirekte Rede im mod. Deutsch (Uppsala, 1905).

7 Neben der oben genannten Schrift von M. Lips: Albert Thibaudet, Gustave Flaubert (Paris, 1922), S. 276 ff.

8 Thibaudet, a.a.O., S. 280 S. Auch: Eugen Lerch, “Ursprung und Bedeutung der sog. ‘Erlebten Rede’ (‘Rede als Tatsache‘).” GRM, xvi (1928). Darin stimmt Lerch der Ansicht Behaghels bei, daß die indirekte Rede mit ihrer Personenverschiebung das Bestehen der E voraussetze. Vgl. Otto Behaghel, Der Gebrauch der Zeitformen im konjunktivischen Nebensatz des Deutschen (Paderborn, 1899), S. 172; derselbe, Deutsche Syntax, Bd. iii (Heidelberg, 1928), S. 694 ff.

9 Vgl. Elise Richter in ihrer Besprechung von M. Lips' Buch Le Style indirect libre, im Archiv für das Studium der Neueren Sprachen und Literaturen, cliii (1928), 149–151.

10 Vgl. Eugen Lerch, a.a.O., S. 161. Schnitzler gibt uns ein humorvolles Beispiel für die doppelte Rolle der volkstümlichen E:

Der Leutnant Willi Kasda hat seinem Hauptmann durch seinen Burschen bestellen lassen, daß er zum Augenarzt gehen müsse und keinen Dienst tun könne:] Und immer noch grinsend erzählte der Bursche: “Zum Augenarzt muß der Herr Leutnant, hat der Hauptmann g'sagt, hat sich wahrscheinlich in ein Mädel verschaut, der Herr Leutnant.” — Und da Willi dazu nicht lächelte, fügte der Bursche etwas erschrocken hinzu: “Hat der Herr Hauptmann gesagt, melde gehorsamst.” — “Abtreten,” sagte Willi. (“Spiel im Morgengrauen,” Traum und Schicksal, S. 173.)

11 Neben den zahlreichen Kommentaren zu James Joyces Ulysses, die sich mit der “stream of consciousness”–Methode befassen, geben nur zwei Schriften einen, wenn auch sehr lückenhaften und wenig wissenschaftlich gehaltenen Überblick über diese Darstellungsform: Valéry Larbaud, in seinem Vorwort zu dem 1887 zum ersten Male erschienenen Buch von Edouard Dujardin Les lauriers sont coupés (Paris, 1924); ferner: Edouard Dujardin, Le Monologue intérieur (Paris, 1931). Pierre Loving, “Schnitzler and Interior Monologue,” Books Abroad (Januar 1932), S. 18–19, bleibt zu allgemein.

12 Funke, a.a.O., S. 453.

13 Eine solche Unterscheidung trifft Leo Spitzer, Stilstudien (München, 1928), S. 497, wenn er die E bei Marcel Proust und Albrecht Schaeffer vergleicht. Edith Aulhorn nennt in ihrem Artikel “Zur Gestaltung seelischer Vorgänge in neuerer Erzählung” in: Vom Geiste neuer Literaturforschung, Festschrift für Oskar Walzel (Wildpark-Potsdam, 1924) fünf Formen der Ausdrucksmöglichkeiten: Gebärde, Vergleich, Monologtechnik, erlebte Rede und Vision und sagt von den M-artigen Einschüben ohne Anführungszeichen, daß sie sich schon der erlebten Rede näherten (S. 73). Eine solche Unterscheidung setzt auch die Namengebung von Curt Blass voraus, der für ‘Erlebte Rede’ die Bezeichnung ‘Mittelbare Dacht’ eingesetzt wissen will, wobei er ‘Unmittelbare Dacht’ die Darstellungsform einer monologischen Erzählung vom Charakter Die Sanfte von Dostojewski nennen möchte (Die Literatur, 27, Juni 1925). Nicht deutlich trennt Walzel, der einmal in dem stummen Selbstgespräch eine Vorstufe zur Form der E zu sehen scheint (a.a.O., Das Wortkunstwerk, S. 224), dann aber wieder sagt, daß E durch den stillen Monolog noch überholt (ebenda, S. 228). Günther rechnet gar (a.a.O., S. 122), “Fräulein Else” einfach der E zu und vermeidet auch sonst eine klare Unterscheidung (ebenda, S. 137, wo James Joyces Monologtechnik unter die Rubrik der E gerät).

14 So behauptet z.B. Leo Spitzer, daß E den unbeliebt gewordenen Konjunktiv der I zusammen mit D verdränge, Stilstudien, S. 94. Ebenso Eugen Lerch, GRM, vi, 473.

15 “Der Weg ins Freie,” E.S. iii, 127–129. Ebenda S. 90–91 vermittelt die Fortführung des Tempus des Berichtes in der Rede eine Note des Tatsächlichen und Selbstverständlichen, das keinen Widerspruch zuläßt; charakterisierend für den Sprecher.

16 Ebenso: “Der Weg ins Freie,” E.S. iii, 89, 307.

17 “Der Weg ins Freie,” S. 150.

18 Wie schon an dieser Stelle das Tatsächliche der E sich ins traumhaft Unheimliche steigert, so besonders auch in “Traumnovelle” S. 270–271.

19 Vgl. dazu Walzel, a.a.O., S. 216–217.

20 “Therese,” E.S.V., 52, 85, 88, 89, 94, 123, 125–126 u. öfter; “Der Weg ins Freie,” E.S. iii, 293, 365.

21 Wenn Günther (a.a.O., S. 88) aus dem Gebrauch der E zur Wiedergabe wirklicher Äußerungen auf eine Verschiebung des Schwergewichts gegen die Außensicht schließt und in E dann delikate Ironie ausgedrückt findet, so kann das für unsere Beispiele aus Schnitzler nicht erwiesen werden. Der Güntherschen Auffassung ist schon Lerch (GRM, xvi, 468) entgegengetreten und hat die Einfühlung auch in diesem Gebrauche betont.

22 Damit ist die Zahl der expositorischen Formen von E in den E.S. bei weitem nicht erschöpft. Hier werden nur die behandelt, die Exposition in längerem Zusammenhang wiedergeben.

23 Vgl. Edith Aulhorn, a.a.O., S. 76.

24 Vgl. zu der Stelle Edith Aulhorn, a.a.O., S. 72.

25 Gerade durch die Verlegung der Handlung in das Innere von Mutter und Sohn hat Schnitzler dem ursprünglichen mündlichen Bericht der Mutter in “Der Sohn” (In Die kleine Komödie) eine vertiefte symbolische Bedeutung gegeben. Ich kann daher nicht mit Otto P. Schinnerer übereinstimmen, daß es sich um “wenige unbedeutende Änderungen” des eigentlichen Inhaltes handelt. (Die kleine Komödie, S. 329.)

26 Auch “Therese,” E.S. v, 321.

27 Vgl. O. Funke, a.a.O., S. 474.

28 Vgl. auch “Therese,” E.S. v, 142; “Frau Beate und ihr Sohn,” E.S. iv, 102.

29 Oder die Figur hört ihr Inneres: “Dieses ‘einer von uns’ hörte sie innerlich ganz deutlich.” (“Frau Berta Garlan,” E.S. ii, 133.)

30 Vgl. dazu noch folgende Stelle: “Aber ich dachte kaum an sie. … Und jetzt liegt sie da unten und stirbt. … Er erschrak heftig. Er hatte denken wollen … sie liegt in Wehen und auf die Lippen gleichsam hatte es sich ihm gestohlen: sie stirbt. Aber warum war er denn erschrocken? Wie kindisch.” (“Der Weg ins Freie,” E.S. iii, 339.) Hier erscheint das verräterische Wort in M, der dann folgende innere Kampf ist ebenso wie oben wiedergegeben.

31 Die höchste innere dramatische Spannung und Erregtheit hat Schnitzler durch den Wechsel von M, E und B an der berühmten Stelle in “Die Toten schweigen” (E.S. i, 205, 208–209) erzielt.

32 Günther, a.a.O., S. 84.

33 Sol Liptzin, “The Genesis of Schnitzler's ‘Professor Bernhardi,’” Philological Quarterly, x, 349, und “The Genesis of Schnitzler's ‘Das Weite Land,’ ” PMLA, xlvi, 861. Beide Artikel jetzt aufgenommen in des Verfassers Arthur Schnitzler (New York: Prentice Hall, 1932), S. 154–195.

34 Max Quadt, “Arthur Schnitzler als Erzähler,” The Germanic Review, iii (1928), 41.

35 Vom letzten Kapitel abgesehen verwendet Joyce alle drei Personen zur Bezeichnung verschiedener Bewußtseinslagen. Vgl. dazu Walter L. Myers, The Later Realism (Chicago: Univ. of Chicago Press, 1927), S. 71.

36 Hierin sehe ich den Hauptunterschied zwischen der Form von “Leutnant Gusti” und “Fräulein Else” und der von “Der Andere” und anderen Brief- oder Tagebuchformen der Novelle. Die Reflexionen eines Brief- oder Tagebuchschreibers werden in der Hauptsache auf die Vergangenheit bezogen, die des monologisierenden Charakters auf die abfließende Gegenwart. Vgl. dazu Otto P. Schinnerers Bemerkung zu “Der Andere” in Die kleine Komödie, S. 328.

36a Vgl. dazu: Emil Lucka, “Das Grundproblem der Dichtkunst,” Zeitschrift für Ästhetik, xxii (1928), 140.

37 Hier dürfte vielleicht auf die sehr anschauliche Art der Wirkung von M, und im weiteren Sinne von E hingewiesen werden, wie sie uns die Verfilmung von Eugene O'Neill's Drama “ Strange Interlude” zeigt. Das bekannte Beiseitesprechen der Personen im Drama, während andere Spieler auf der Bühne sind, ist im Tonfilm so gelöst, daß wir die Worte hören, die denkend-sprechende Person aber den Mund geschlossen hält. Die Wirkung ist auf den Zuhörer dieselbe wie M und E in der Erzählung auf den Leser.

38 Ebenso in “Der Tod des Junggesellen,” E.S. ii, 280–282.

39 E.S. i, 93.

40 E.S. iv, 106.

41 Traum und Schicksal, S. 225.