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Published online by Cambridge University Press: 02 December 2020
BÖHMES Philosophieren trägt den Charakter einer leidenschaftlichen Theodizee. Gott ist das unbedingte und uneingeschränkte Gute; von dieser Prämisse will der Christ Böhme nicht abweichen. Aber er ist ebenso weit davon entfernt, das Böse in einer Welt zu übersehen, die das summum bonum geschaffen hat. Für den mit der christlichen Tradition Vertrauten ergibt sich damit die Notwendigkeit, die souveräne Willkür Jehovas, die Existenz von Tod, Teufel und Hölle, die Lehre von der Verstocktheit der Bösen und ihrer ewigen Verdammnis vor sich selber zu rechtfertigen und mit dem oben angeführten Gottesbegriff in Einklang zu bringen. Böhme wehrt sich energisch gegen die Idee der Prädestination, die das theologische Dilemma rational auflöst, indem sie das Bild eines gleichzeitig guten und grausamen Gottes entwirft, der sein Recht zur Willkür in der Verteilung von Gnade und Ungnade aus der Erhabenheit des Schöpfers bezieht, der nur sich selber Rechenschaft schuldet. Zwar wird das doppelte Gesicht Gottes zum Kernstück seiner Emanationsphilosophie, die absichtliche Vorherbestimmung zum Bösen seitens Jehovas hingegen ist derjenige Aspekt der Prädestinationslehre, den Böhme nicht hinnehmen kann.
1 Jacob Böhme, Sämtliche Schriften, ed. Will-Erich Peuckert, Vol. viii (Stuttgart, 1958), 651 (lxi.60). Die Bände vii und viii dieses Faksimile-Neudrucks der Ausgabe von 1730 enthalten das Mysterium Magnum. Alle Zitate nah diescer Ausgabe. Es besteht natürlich die Möglichkeit, daß es sich oben einfach um ein Versehen des alten Herausgebers handelt.
2 Bornkamm bemerkt, daß Luther es nie gewagt habe, das Böse aus Gott herzuleiten. Heinrich Bornkamm, Luther und Böhme (Bonn, 1925), p. 150.
3 Zu Böhmes allegorischer und praefigurativer Methode siehe besonders xliii.57 und xlvi.29.
4 An anderer Stelle heißt es: “GOtt ist keine Person als nur in Christo, sondern Er ist die ewig-gebärende Kraft” (vii.5). Angesichts solcher Formulierungen ist es begreiflich, daß die zeitgenössische Orthodoxie Böhme als Häretiker empfand.
5 Nikolai Berdjajew, “Jakob Böhmes Lehre von Ungrund und Freiheit,” trans. Hans Ruoff, Blätter für deutsche Philosophie, vi (1932), 325.
6 Alexandre Koyré hat diesen Impuls sehr schön begründet. “La structure que la volonté s'est donnée ou qu'elle a acquise est aussi celle de la réflexion. ... un mouvement libre ... est un mouvement inconscient. Il faut qu'une résistance le limite pour qu'il se révèle à soi-même. La volonté indéterminée est une volonté inconsciente.” La Philosophie de Jacob Böhme (Paris, 1929), p. 338.
7 Berdjajew sieht in Böhmes Ablehnung gelehrter Systeme und ihrer Vertreter sowie in seinem Anspruch, statt ihrer die Natur zum Lehrer zu haben, “die Renaissance-Auflehnung gegen die Scholastik und die Hinwendung zur Natur selber” (316). Aber handelt es sich nicht einfach um die Freiheit in Sachen der Bibelinterpretation, die der Protestant und Nachfahre Luthers für sich in Anspruch nimmt? Böhme ist der neueren protestantischen Orthodoxie ebenso abhold wie der alten römischen. Er wehrt sich gegen alle offizielle Bevormundung in religiösen Dingen. Aber er würde niemals die Haltung eines Geschöpfs billigen, das von dieser Freiheit Gott, bzw. den in der Bibel formulierten Grundsätzen gegenüber Gebrauch macht. Die Freiheit, die Böhme dem Individuum zuerkennt, ist durchaus die traditionell christliche, sie mündet im absoluten Gehorsam gegen Gott und in der bedingungslosen Hinnahme der Beschränkungen, wie sie in der Schrift bzw. deren Auslegung gefordert sind.
8 Die schönste Verteidigung findet sich erst viel später. “Denn so nur einerley Wille wäre, so thäten alle Wesen nur Ein Ding, aber im Wiederwillen erhebet sich ein jedes in sich selber zu seinem Sieg und Erhöhung; und in diesem Streite stehet alles Leben und Wachsen, und dadurch wird die Göttliche Weisheit offenbar, ... ein einiger Wille ist ihm selber nicht offenbar; ... so muß sich ... das Eine, als der einige Wille, erst in ein Wiederspiel mit ihme selber einführen, auf daß er sich möge offenbaren” (xl.8). In diesem Zusammenhang erhebt Bornkamm den Einwand, Böhme nehme dem Bösen seine eigentliche Macht, indem er seine Notwendigkeit ableite (p. 156). Das ist nicht ganz einzusehen. Für Böhme handelt es sich weniger um die absolute Notwendigkeit des Bösen als um dessen Erscheinung als unausweichliche Folge des oben beschriebenen Prozesses. Die Akzente liegen anders. Das Böse deshalb als weniger mächtig anzusehen, wäre Böhme sicher nie eingefallen.
9 Böhme betont ausdrücklich, daß das Böse nicht eigens von Gott geschaffen wurde (iii.2). An dieser Stelle beschränkt er sich einmal nicht auf das Argument, daß es der Gutheit Gottes widerspräche. Er weigert sich vielmehr, dem Guten wie dem Bösen einen zeitlichen Anfang zuzuerkennen; beides ist so ewig wie Gott selber. Vgl. auch lxi.61ff.
10 Koyré schreibt im Anschluß an den Satz “In Ja und Nein bestehen alle Dinge”: “Ce qui veut dire, qu'il y a en Dieu lui-même le oui et le non; qu'il est une synthèse des contraires, et qu'il s'exprime dans les contraires” (p. 396). Der Dualismus ist in Gott aufgehoben. Vgl. Howard H. Brinton, The Mystic Will (New York, 1930), p. 208.
11 Vgl. hierzu Paul Hankamer, Jakob Böhme (Hildesheim, 1960), p. 301: “Persönlichkeit in dem Sinne daß auch eine bewußte Eigenwilligkeit gegen den Allwillen besteht wird erst nach dem Abfall Luzifers Ereignis” (p. 301). Etwas später schreibt Hankamer: “Die Sucht zum Gegensatz schafft bewußtes Leben des Persönlichen und ist Leidenschaft zu sich selbst” (p. 319). Man möchte den Satz eher umdrehen: Die Sucht zum Persönlichen und zur Erkenntnis schafft den Gegensatz. Koyré bemerkt mit Recht, daß Luzifer nicht Luzifer sei, bevor er sich für oder gegen Gott entschieden habe (p. 432).
12 Berdjajews Behauptung, bei Böhme handle es sich nicht um Emanationslehre (p. 321), ist mir nicht ganz verständlich.
13 “Er [Luzifer] will das Rein-Böse und ist das ewige Nein,” schreibt Hankamer in diesem Zusammenhang (p. 330). Das ist nicht Böhmes Luzifer sondern Goethes Mephisto. Luzifer und später Adam haben den Drang nach Erkenntnis und Weite der Erfahrung übernommen und sind viel eher mit Goethes Faust- und Prometheusbild zu vergleichen, das sie, wenn auch auf Umwegen, sicherlich beeinflußt haben. Auch besteht der Unterschied des Menschlichen vom Luziferischen wohl nicht, wie Hankamer ihn sieht, im Unterschied zwischen Künstlersucht, schöpferischem Drang einerseits (p. 329) und absolutem Nein andererseits, sondern lediglich in der Tragweite des Abfalls, nicht im Wesen. Es handelt sich beidemale um ein aufsässiges Nein. Hans Grunsky, Jacob Böhme (Stuttgart, 1956), schreibt zu dieser Stelle: “Sein [Luzifers] schrankenloser Machttrieb ist das Bestreben ‘immer über das Herze Gottes auszufliegen.‘ Da dies soviel bedeutet, wie die Seinstotalität selber transzendieren wollen, ist es ein absurder Narrenflug” (p. 243). Das ist zwar ein logischer Schluß, aber sicherlich überinterpretiert. Wie so oft bei Böhme, darf man den Satz nicht wörtlich nehmen, sondern muß ihn metaphorisch verstehen.
14 Berdjajew schreibt: “Er [Böhme] war bereit, die Allmacht und Allwissenheit Gottes zu opfern und anzunehmen, daß Gott die Folgen der Freiheit nicht vorausgesehen habe. Er sagt, Gott habe den Fall der Engel nicht vorausgesehen” (331). Mir scheint, daß die zu Anfang dieses Kapitels zitierte Textstelle (ix.3) dem widerspricht.
15 Walter Feilchenfeld hat diesen Sachverhalt sehr schön formuliert. “‘Böse’ ist überhaupt kein absoluter Begriff, sondern nur der Ausdruck für ein inneres Mißverhältnis von Dingen, die in ein wesensfremdes Prinzip getreten sind.” Der Einfluß Jacob Böhmes auf Novalis, Germanische Studien, Heft 22 (Berlin, 1922), p. 7.
16 An anderer Stelle schreibt Böhme: “Also lieget er zwischen Zeit und Ewigkeit in der Finsterniß gefangen bis ins Gerichte GOttes” (xii.35). Auch in diesem Satz sollte man nicht mehr sehen als Böhmes Metapher für die absolute Verbannung Luzifers aus dem positiven Bereich.
17 Zuvor hieß es vom Menschen: “Du bist eine kleine Welt aus der grossen, dein äusseres Licht ist ein Chaos der Sonnen und des Gestirnes, sonst köntest du nicht vom Sonnen-Licht sehen” (ii.5). Das ist ein bereits der Antike geläufiges Bild vom Menschen (später zum Begriffspaar Makrokosmos-Mikrokosmos erweitert), das uns auch in Goethes bekannten Versen entgegentritt: “Wär nicht das Auge sonnenhaft, / Die Sonne könnt' es nie erblicken; / Läg' nicht in uns des Gottes eigne Kraft, / Wie könnt' uns Göttliches entzücken?”
18 Vgl. zum Folgenden die schöne, jedoch allgemeiner gehaltene Darstellung bei Ernst Benz, Adam, Der Mythus vom Urmenschen (München, 1955), pp. 16–20.
19 Aufschlußreich in diesem Zusammenhang ist Böhmes Auslegung des Genesisberichts, wonach Sarah, die Frau Abrahams, noch im hohen Alter einen Knaben gebiert. Für Böhme wird Sarah erst dann fruchtbar, als sie nicht mehr der körperlichen Lust sondern der Aufrechterhaltung des “Bundes” wegen nach Geschlechtsverkehr verlangt. Hagar wird als Werkzeug Gottes gedeutet, den Wechsel in der Haltung Sarahs zu erzwingen (xl.28). Dagegen findet sich in li.1 eine präfigurative Interpretation dieser Stelle.
20 Hierzu schreibt Benz: “Der erste Fall des Menschen ist der Fall aus der Einheit in die Vielheit, und er vollzieht sich als ein Schritt aus der androgynen Einheit in die Zweiheit des Geschlechts. Darum ist das Ziel aller Liebe die verlorene Einheit” (p. 19).