Published online by Cambridge University Press: 01 December 2020
A close literary analysis of the text shows that Schweyk im Zweiten Weltkrieg is an artful antimorality play with parodistic parallels to Everyman and Faust. The confrontation and interrelation of the “big” and the “small” provide a thematic and structural pattern on both the political and the social levels of the play. Love, faith, and work of the “little” are exploited by the “big.” Scattered revolution and traditional virtues prove useless in an attempt to fight and survive a totalitarian system. Schweyk is caught between a “big” enemy and a “big” friend. As a typical representative of the “little man” he is pitted against Hitler, whose plans he sabotages by a devious method of opportunism mixed with opposition; as an individual he is also contrasted with the fat glutton Baloun, whom he tries to help. In both respects he is “virtuous.” However, the juxtaposition of Schweyk in the icy Russian steppes and Baloun in the cozy “Keich” inn marks two contradictory, yet interrelated extremes of human existence. Brecht subtly points the way out of these undesirable paradoxes. Only if the “little” resolve their differences will they truly cease to be “little.” Schweyk's virtues and Brecht's “Schweykian philosophy” are dictated by circumstances; they are not meant to be of permanent value.
1 Bertolt Brecht, Gesammelte Werke, 20 Bde. Werkausgabe Edition Suhrkamp (Frankfurt am Main: Suhrkamp, 1967), v, 1944. Weitere Zitate aus dieser Ausgabe sind im Text nach Band und Seitenzahl angegeben.
2 Wertvolle—aber keineswegs erschopfende—Hinweise auf den Werdegang der Dramatisierung bzw. auf das Verhaltnis von Brechts Schweyk im Zweiten Weltkrieg zu Jaroslav Haseks Die Abenteuer des braven Soldaten Schwejk wdhrend des Weltkrieges (entstanden 1920–23, in Grete Reiners deutscher Ubersetzung erstmals veroffentlicht 1926/27) finden sich bei Martin Esslin, Brecht: A Choice of Evils (London: Eyre & Spottiswoode, 1959), S. 32–34; Reinhold Grimm, Bertolt Brecht und die Weltliteratur (Nurnberg: Carl, 1961), S. 51–56; Hans Mayer, Bertolt Brecht middle Tradition (Pfullingen: Neske, 1961), S. 86–89; Pavel Petr, Haseks “Schwejk” in Deutschland (Berlin: Riitten & Loening, 1963), S. 143–76; Daniel Frey, “Etudes brechtiennes ‘Schweyk,‘ ” Etudes de Lettres, 9 (1966), 125–48; Henning Rischbieter, Brecht I (Velber bei Hannover: Friedrich, 1966, 1968), S. 154–60; Frederic Ewen, Bertolt Brecht: His Life, His Art, and His Times (New York: Citadel Press, 1967), S. 401–08; Charles W. Hoffmann und John B. Fuegi, “Brecht, Schweyk and Communeism,” Festschrift fiir Detlev W. Schumann, hrsg. von Albert R. Schmitt (Munchen: Delp, 1970), S. 337–49.
Da Brecht selbst nicht mehr dazu gekommen war, eine Buchausgabe oder eine Inszenierung dieses Stiicks zu be-sorgen, findet man zuweilen die Annahme vertreten, Schweyk sei nur ein Fragment von beschranktem lite-rarischen Wert. Demgegenuber sei hervorgehoben, dafi Brecht das Originaltyposkirpt der nach seinem Tod von Elisabeth Hauptmann veroffentlichten Fassung bereits mit Korrekturen versehen hatte, und dafi die kiinstlerische Bedeutung dieses von der Kritik so lange vernachlassigten Werks allmahlich zur Geltung kommt.
3 In seinen Tagebuchnotizen und den Anweisungen “Zur Inszenierung” (v, 1995) spricht Brecht von “Akten.” Das Typoskript der Originalfassung (Bertolt Brecht Archiv, Mappe 2199) zeigt folgende Einteilung: Erster Akt ( = Vorspiel in den Hoheren Regionen+Szenen 1–3); Zweiter Akt (= Zwischenspiel in den Hoheren Regionen + Szenen 4–6); Dritter Akt ( = Zwischenspiel in den Hoheren Regionen+Szenen 7–8, Nachspiel).
4 Zusammenfassungen unterschiedlicher deutscher bzw.franzosischer Kritiken zu Auffiihrungen, Gehalt und Titel-figur dieses Stiickes finden sich bei Petr, S. 158–61 bzw. Agnes Hiifner, Brecht in Frankreich, 1930–1963 (Stuttgart: Metzler, 1968), S. 196–207.
5 z.B. Petr, S. 176; Frey, S. 148; Rischbieter, S. 156; Helmut Jendreieck, Bertolt Brecht (Diisseldorf: Bagel, 1969), S. 58.
6 z.B. Frey, S. 147–48; Rischbieter, S. 160; Hoffmann und Fuegi, S. 346.
7 Die Summe aus Freys Charakteranalyse lautet: “Schweyk … est l'un des personnages les plus positifs de toute l'ceuvre de Brecht” (S. 145). Vgl. auch Hoffmann und Fuegi iiber den “humanitarian” Schweyk (S. 341).
8 Mayer, S. 89; Petr nennt Schweyk einen kleinbiirger-lichen Typ (S. 151, 167), der kaum ein Gegenspieler Hitlerszu nennen sei (S. 160) und “nicht aktiv an einer kommenden sozialistischen Revolution teilnehmen wiirde. Nach dem Sieg des Proletariats wiirde er erst einen langsamen und schwierigen Umerziehungsprozefi durchleben miissen.” Dies unterstreicht er durch ein Urteil Siegfried Melchingers (aus “Die Wandlung des braven Soldaten Schwejk,” Stuttgarter Zeitung, 28 Jan. 1961:“ ‘Wir miissen uns huten, zu glauben, Brecht habe diesen neuen Schweyk als eine Figur dargestellt, mit der wir sympathisieren sollten’ ” (S. 168).
9 Das Wiederaufgreifen der (modifizierten) Thematik und Struktur der alten Jedermann-Spiele ist ein charak-teristischer Aspekt der dramatischen Moralitat des 20. Jahrhunderts; dazu mein Aufsatz: “Moderne Variationen des Jedermann-Spiels,” Helen Adolf Festschrift, hrsg. von Sheema Z. Buehne, James L. Hodge, Lucille B. Pinto (New York: Ungar, 1968), S. 309–41.
10 Durch einen unkorrigierten Fehler in zwei Abschriften (Bertolt Brecht Archiv, Mappen 1986 und 193), der auch in den gedruckten Text in Band x der Stticke (Frankfurt am Main: Suhrkamp, 1957, und Berlin: Aufbau, 1958) sowie in Band 132 der Reihe edition suhrkamp einging, entsteht der Eindruck, als gabe es eine freie Wahl. Dprt heifit es: “Wiirde er mir im Notfall beispringen, oder— liefie er mich im Stich ?”
11 Brechts “Vorspiel in den Hoheren Regionen” schliefit (im Rahmen seines Gegenentwurfs zur christlichen Moralitat) auch eine Parodie auf den “Prolog im Himmel” in Goethes Faust ein: Der Herr vor seinen himmlischen Heerscharen (insbesondere den drei Erzengeln) vertraut auf seinen Knecht Faust, der ihn in seinem Streben nicht enttauscht; der vergotterte Hitler vor seinen ihn anhim-melnden Satrapen (insbesondere Himmler, Goring, Goeb-bels) vertraut auf die Knechtung des kleinen Manns—der jedoch strebt, ihn zu tauschen.
12 Die fundamental Wahrheit, dafi die Grofien nur grofi sein konnen, weil die Kleinen klein sind, dafi es also an den Kleinen liegt, dieses Verhaltnis zu andern, wird von Brecht immer wieder direkt ausgesprochen oder dialektisch provoziert. Es ist bezeichnend, dafi eine seiner konzen-triertesten Formulierungen dieser Erkenntnis, das Gedicht “Lob der Dialektik,” sowohl dem Lehrstuck Die Mutter (1931) zur Rezitation dienen kann, als auch fur die Proble-matik des spaten Schweyk im Zweiten Weltkrieg verbind-lich bleibt:
Das Unrecht geht heute einher mit sicherem Schritt.
Die Unterdriicker richten sich ein auf zehntausend Jahre.
Die Gewalt versichert: So, wie es ist, bleibt es.
Das Sichere ist nicht sicher.
So, wie es ist, bleibt es nicht.
Wenn die Herrschenden gesprochen haben
Werden die Beherrschten sprechen.
An wem liegt es, wenn die Unterdriickung bleibt'? An uns.
An wem liegt es, wenn sie zerbrochen wird? Ebenfalls an uns.
(ix, 467–468; ii, 895)
13 Brecht hat nie davon abgelassen, eine Veranderung der Welt zu fordern. Er vertritt—am unverhulltesten in seinen Lehrstiicken—die Notwendigkeit einer Revolution und preist Revolutionare wie z.B. die Pelagea Wlassowa in Die Mutter. Aber in zunehmendem Mafie lenkt er das Augenmerk auf die Schwierigkeiten einer erfolgreichen Revolution, warnt vor Uneinigkeit und vorschnellem vereinzelten Handeln und betont die Notwendigkeit der allmahlichen Erziehung zur gemeinsamen Tat zur rechten Zeit mit den rechten Mitteln (vgl. Die MaSnahme, Die heilige Johanna der Schlachthofe, Die Mutter, Die Rund-kbpfe und die Spitzkopfe, Die Gewehre der Frau Carrar). Dieser komplexe, langwierige Erziehungsprozess hat evolutionaren Charakter; das revolutionare Ziel dahinter bleibt stets spiirbar, auch im Schweyk, doch wird es in den Spatwerken nicht mehr vordergrundig propagiert wie in den typisierenden und oft versimplifizierenden Lehr-stucken. Dies hat verschiedene Kritiker (aus Ost und West) zur falschen Annahme verleitet, der Schweyk habe iiber-haupt nichts mehr mit Revolution zu tun.
14 Wie Brecht betonte, hat in einem widerspruchsvollen Gesellschaftssystem mit eng voneinander abhangigen Konstituenten jede dieser Konstituenten “eine Chance, alle andern zu beeinflussen . . . Hier eine Abhangigkeit akzeptieren, heifit nicht den Kampf aufgeben, sondern ihn aufnehmen” (xv, 492).
15 Gewisse Beobachtungen, die Brecht uber Haseks Schwejk anstellt, gelten in besonderem Mafie von seinem eigenen Schweyk: “ . . . das helle Auge des Unterdriickten dem Unterdrucker gegenuber, mit dem er leben mufi, jenes feinfuhligste Abtastungsvermogen seiner Schwachen und Laster, die profunde Kenntnis seiner (des Gegners) realen Bedurfhisse und Verlegenheiten, die standige, wache Einkalkulierung des Unberechenbaren, Imponderablen und so weiter (xix, 371).
16 In diesem Sinne ist wohl auch Brechts Tagebucheintrag vom 24.6.1943 zu verstehen: “im grossen den SCHWEYK beendet, ein gegenstuck zur MUTTER COURAGE” (vgl. Petr, S. 143; Spectaculum, iii, 338).
17 Meine Hervorhebung einzelner Worter soil die Wider-spruche dieser Textstelle verdeutlichen; denn wer diese Widerspriiche nicht sieht (wie z.B. Hoffmann und Fuegi), kommt leicht auf die Idee, dafi Brecht hier nicht die dicke Frau, sondern Schweyk kritisiert. Mit ihrem Ausspruch “Ich sag: mir sin mit schuld” (v, 1945) hat die Frau nicht unrecht; mit ihrer banalen Wahrheit, man konne mehr machen als Slibowitz trinken und Witze, scheint sie fort-schrittlicher zu sein als Schweyk—aber sie stellt sich das nur vor, wahrend Schweyk wirklich mehr tut. Ihr Vorwurf fallt also vor allem auf sie selbst zuruck, zumal es aus-driicklich sie ist, die hier einen Slibowitz geniefit (v, 1936), und nicht Schweyk, der ein Bier trinkt (v, 1938, 1943), und zumal ihre eigenen, genufilich-witzigen Seitenbemer-kungen nicht an die agressive Dialektik des Schweykschen Witzes heranreichen. Sie ist nicht die erste dicke Person (ubrigens eine Ladenbesitzerin [v, 1936]) in Brechts Werk, die verallgemeinernd moralisiert, ohne selbst aktiv zu einer Veranderung der Dinge beizutragen. Die Antwort Schweyks, der die Schwachen der Dicken durch das Bei-spiel seines dicken Freundes Baloun kennt, entbehrt auch nicht der treffsicheren Ironie: “Verlangens nicht zu vielvon sich” bezieht sich spezifisch auf die dicke Frau, die von vornherein nicht zu viel von sich verlangt, eher von anderen. (Die Rolle der dicken Frau hat Brecht z.T. handschriftlich in den Typoskripten Bertolt Brecht Archiv Mappe 139 und Mappe 2199 nachgetragen und differenziert.)
18 So lafit er z.B. fiir den beutewitternden Spurhund Brettschneider die Bemerkung fallen: “Auf den Hitler schimpfen viele.” Auf die hoffhungsvolle Frage des Agenten “Wie meinen Sie das?” geht Schweyk bereitwillig ein, schliefit seinen belehrenden Exkurs aber mit dem gegen-teiligen Ergebnis: “wie die Grofien auf uns schimpfen” (v, 1926–27). Zahlreiche Beispiele fiir solche rhetorische Ablenkungs- und Umlenkungsmanover liefien sich zitieren.
19 z.B. die Umlenkung der Eisenbahnwaggons; die Um-dichtung des Horst-Wessel-Lieds; die Umdrehung ge-wisser Wort-(Bild)-Bedeutungen (z.B. 'Ordnung'—'Unordnung,' 'Fangen'—'Gefangenwerden,' die Geknechteten als 'Hunde'—'die Knechtenden als 'Hunde,' Hitler als der 'Fiihrer' des Volkes—Schweyk als der ‘Fuhrer’ Hitlers (vgl. vor allem Bertolt Brecht Archiv, Mappe 140/10).
20 Dafi Brecht die Rolle Schweyks von Anfang an als widerspruchliche Doppelfunktion (gegenuber den totalitaren Machthabern einerseits und Baloun andrerseits) konzipierte, geht aus einem Vermerk (vom 27.5.1943) in seinen Tagebuchnotizen hervor:
gestern nacht von N.Y. zuriick, erzahle steff einiges von dem scHWEYK-plan, er sagt sogleich, der original-schweyk wurde sich um balouns schwierigkeiten kaum kummern, ihm eher zum eintritt in die deutsche armee zuraten und schwerlich in einem so gefahrlichen lokal wie dem jetzigen wirtshaus zum KELCH verkehren. [ . . . ] jedoch beschliefie ich auf der stelle, diese unpolitische haltung S.s. wider-spriichlich in die kleine fabel (RETTUNG DES FRESSERS BALOUN) einzubauen.
(Spectaculum, HI, 337)
21 Zu solch einseitiger Betrachtungsweise neigen Hoffmann und Fuegi, indem sie die kuriose Ansicht vertreten, Schweyk brauche nur schone Visionen vom heimischen “Kelch” zu haben, um sich in den eisigen Steppen Rufilands am Leben zu erhalten (S. 342). Ihr Psychologismus (und auch der anderer Kommentatoren) geht so weit, dafi sie die nur aus Schweyks Perspektive gedeutete Vision des “Kelchs” einfach als Wunschbild Brechts identifizieren.
22 Besonders aufschlufireich ist in diesem Zusammen-hang die Arbeit von Walter Hinck, Die Dramaturgic des spdten Brecht (Gbttingen: Vandenhoeck & Ruprecht, 1959). Er untermauert die nicht-psychologische Konzeption des epischen Theaters durch zahlreiche Beispiele, die Brechts Technik der Doppelperspektivik demonstrieren. Hincks Ausfiihrungen uber Brechts Simultanbuhne und das Wechselverhaltnis von zwei im bildlichen Nebenein-ander gezeigten Realitatsspharen (S. 49–54, 114–15) hatten durch Einbezug des Schweyk noch bereichert und modi-fiziert werden konnen.
23 Man denke an die Schlufiszene in Der gute Mensch von Sezuan, wo die Gotter in rosiger Helle auf einer rosa Wolke gen Himmel fahren, alles fiir gut und in Ordnung befinden, Veranderung der Verhaltnisse also nicht fur notig halten und die verzweifelte Shen Te/Shui Ta hilfios zurucklassen. In Die Heilige Johanna der Schlachthofe istJohannas “Opfer”-Tod, der den ausbeuterischen Pakt zwischen Kapitalismus und Religion besiegelt, “von einem rosigen Schein beleuchtet” (ii, 785). Vom “Helden neuer Art,” der bei “all seinen Schwachen . . . Tugenden alter und neuer Art, aber besonders neuer Art” aufweist, sagt Brecht: “Von alien Farben deprimiert ihn am tiefsten das Rosenrot” (xix, 553–54).
24 Z.B. Harold Lenz, “Idee und Bild des Friedens im Drama von Bertolt Brecht, ”Der Friede, Idee und Verwirklichung: Festgabe fur Adolf Leschnitzer, hrsg. von Erich Fromm und Hans Herzfeld (Heidelberg: Schneider, 1961), S. 288; Hoffmann und Fuegi, S. 343–44.
25 Was bei Brecht golden erscheint, hat ebenfalls keinen absoluten Selbstwert, sondern dient dazu, Kontraste aufzuzeigen, ahnlich dem Ausspruch: Wo viel Licht ist, ist starker Schatten. So heifit es z.B. iiber die Fabel von Der gute Mensch von Sezuan:
Eure Korper werfen Schatten
In der Flut des goldnen Lichts (iv, 1606) und
Vorschwebte uns: die goldene Legende.
Unter der Hand nahm sie ein bitteres Ende. (iv, 1607)
Zahlreiche andere Beispiele liefien sich anfiihren.
26 Russische Munze (100 Kopeken = l Rubel). Petr weist darauf hin, dafi in einigen Entwiirfen die Schreibweise “kopeka” statt Frau Kopecka auftaucht (S. 216). Urspriinglich hiefi sie Frau Natonek (Bertolt Brecht Archiv, Mappe 140/22–29). In diesem Zusammenhang sind auch die Parallelen zwischen Frau Kopeckas “Kelch”-Lied und dem “Lied von der belebenden Wirkung des Geldes” in Die Rundkbpfe und Die Spitzkbpfe (in, 981–82) aufschlufi-reich.
27 Petrs Behauptung-, Schweyk sei Mitglied einer nationalen “Einheitsfront” (S, 168) ist daneben gegriffen. Gerade fiir das Nichtbestehen einer einheitlichen Haltung unterden Kleinen (hier: den Tschechen) will Brecht den kritischen Blick scharfen. Auch Hoffmann und Fuegi verkennen Brechts dialektische Dramaturgie, wenn sie behaupten: “The problem … of class solidarity … is simply not an issue” (S. 346).
28 In Brechts urspriinglicher Skizzierung der Fabel heifit es von der Waggonschieberszene: “Schweyk, hilfsbereit wie immer, bemiiht sich, ihm ein mnemotechnisches System zu lehren, das er von einem Stammgast im ”Kelch,“ der Rechnungsrat beim Wasserfiskus ist, gehort hat” (XVII, 1191). Was die beiden Episoden verbindet, ist aufier der Berufung auf den “Rechnungsrat beim Wasserfiskus” die Tatsache, dafi die Belehrungen durch dialektischen Umschlag das Gegenteil von dem bewirken, was sie vorgeben.
29 Vgl. das Gedicht “Antigone” (x, 954).Auch in seinen Ausfuhrungen zur Figur der Antigone relativiert Brecht ihre sittliche Bedeutung. Er sieht in ihr nicht die Vertreterin der Religion oder Humanitat an sich, sondern nur eine durch Gewalt bedingte, durch zu grofie Unterdriickung explodierende elementare Menschlichkeit, die Kreon zu Fall bringt fiir ihr Volk aber erst einmal nachteilige Folgen hat. (Die Antigone des Sophokles/Materialmen zur ‘Antigone‘ [edition suhrkamp 143, Frankfurt am Main: Suhrkamp, 1965, S. 96, 116, 86.) Wenn Brecht von grofien Figuren der Weltliteratur im allgemeinen—und vom Schwejk und der Antigone insbesondere—sagt, dafi sie nich unbedingt von bleibendem Wert sein miissen, so trifft das auch auf seine eigenen Versionen dieser Gestalten zu: “. . . ich selber schatze, offen gesagt, den Begriff des Bleibens nicht so unmafiig hoch . . . Vielleicht bleiben diese Naturen gar nicht ? Vielleicht standen sie gerade in solchen kampfvollen Wechselbeziehungen, die es dann nicht mehr geben wird? . . . Man sollte nicht die Vorstellung nahren von einer Art Walhalla der bleibenden Gestalten der Literatur” (xix, 308–09).
30 Dank gebiihrt der American Philosophical Society fiir die Unterstiitzung meiner Nachforschungen im Bertolt Brecht Archiv.