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Jesu Seefahrten und die Stellung von Joh. 6
Published online by Cambridge University Press: 05 February 2009
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Der See Kinnereth (Gennesaret) nimmt in der öffentlichen Wirksamkeit Jesu eine hervorragende Stellung ein. War doch das an seinem Nordufer gelegene Dorf Kefar-Nahum, nicht seine Heimatstadt Nazareth, der eigentliche Wohnort Jesu während seiner Tätigkeit in Galiläa (‘Er nahm seinen Wohnsitz in Kefar-Nahum’, Mt. 4. 13). Dies war ‘seine Stadt’ (‘Er fuhr über den See und kam in seine Stadt’, Mt. 9. 1). Von dort aus unternahm er verschiedene Verkündigungsreisen, aber immer wieder zog es ihn nach Kefar-Nahum zurück. Das ist auch nicht zu verwundern, denn wohl die Mehrzahl seiner zwölf Apostel stammte aus diesem oder benachbarten Orten, oder war zum mindesten dort wohnhaft: Simon bar Jona, Andrea bar Jona, Jakob bar Zebedai, Johanan bar Zebedai, Philippos, Mattai bar Alpai, vielleicht auch Thomas (vgl. Joh. 21. 2); von den übrigen, bis auf Nathanael bar Tolmai, der aus Kana stammte, wird nichts überliefert. Von Andreas und Petrus wird ausdrücklich berichtet, dass sie aus Bethsaida stammten; sie wohnten jedoch in Kefar-Nahum, und Jesus wohnte wahr-scheinlich in ihrem Hause.
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- Copyright © Cambridge University Press 1984
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ANMERKUNGEN
[1] Das heutige Khirbet Minieh am Nordrand der Ebene Gennesar, das Meistermann, B., Guide de Terre Sainte, 1936, S. 585Google Scholar dafür vorschlägt, scheint zu weit von Kefar-Nahum entfernt, als dass man es damit vertauschen könnte, wie Stellen wie Joh. 1. 44 nahe legen. Eher war es ein Teil von Kefar-Nahum, etwa das Hafenviertel. Anderseits ist die heute übliche Identifizierung mit dem am NO-Ufer des Sees gelegenen el-mes'adīye oder el-‘arağ erschwert durch die Entfernung vom Jordan (vgl. Josephus BJ 3,10,7 ‘Der Jordan mündet in den See Gennesaret nach der Stadt Julias’ meta polin louliada) und das Fehlen alter Ruinen. Eher ist anzunehmen, dass Julias sich vom heutigen et-Tell bis an den Jordan erstreckte, zumal damit zu rechnen ist, dass die Jordanmündung durch Versandung mehr und mehr nach Süden verlagert wurde. Wie dadurch das ehemalige Fischerdorf zugedeckt werden könnte, (Haag, H., Bibel-Lexikon 1968, Sp. 204Google Scholar) ist mir unvorstellbar.
[2] Neuere Literatur zu Bethsaida: Baldi, D., ‘Il problema del sito di Betsaida e delle moltiplica-zioni dei pani’, in: SBFLA 10 (1959–1960), S. 120–46Google Scholar; Hegermann, H., ‘Bethsaida und Gennesar’, in: J. Jeremias-FS (BZNW 26) 1964, S. 130–40Google Scholar; Boismard, M. E., ‘Problèmes de critique textuelle concernant le quatrième évangile (Joh 22–24)’, in: RB 60 (1953), S. 347, 359–71Google Scholar; Ritt, H., ‘Der “Seewandel Jesu” (Mk 6, 45–52 par)’ in: BZ NF 23 (1979), S. 71–84 (daselbst weitere Literatur).Google Scholar
[3] D.h., für die Geschichtlichkeit einer ins vierte Jahrhundert hinaufreichenden Tradition. Ich nenne nur die schon (in der vorigen Anmerkung) erwähnten, Baldi (in der Nähe von Tabgha), Hegermann (in der Ebene Gennesar), Boismard (in den Bergen bei Tiberias) und Meistermann, Capharnäum et Bethsaïda, Paris 1921 (Khirbet Minieh).
[4] Wenn so hervorragende Kenner des 4. Evangeliums wie C. H. Dodd es wieder wagten, historische Tradition darin zu suchen (vgl. sein Werk Historical Tradition in the Fourth Gospel, 1965) so kann dies nicht ganz so abwegig sein, wie die moderne Tendenz einseitiger Symbol-Exegese des Johannesevangeliums es wahr haben möchte. Johannes verbindet glücklich grosses Interesse an der historischen Zuverlässigkeit (vgl. Joh. 21. 24) mit mystischer Tiefe.
[5] Z.B. lässt Lukas kurz vorher Jesus seine galiläische Tätigkeit in Nazareth beginnen, um eine Progammrede darin unterzubringen, unterstellt aber die Einrede der Zuhörer, Jesus solle auch in Nazareth die Wunder wirken, die er in Kefar-Nahum gewirkt habe (Lk. 4. 23); ‘und dann begab er sich nach Kefar-Nahum’ (Lk. 4. 31).
[6] Dass es (Früh-)Sommer ist, wird durch die Stellung in Mk nahegelegt: Wir stehen noch ziemlich nahe am Anfang der galiläischen Tätigkeit (Mk. 2. 27 Ährenraufen), die nach Johannes (vgl. Joh. 4. 43) bald nach Ostern begann, zwischen der Erwählung der Zwölf (3.16) und ihrer Aussen-dung (6. 7).
[7] Mt spricht zunächst nur von einer Bewegung des Wassers (seismos megas, 8. 24) sodass man an ein Erdbeben mit Flutwellen denken könnte. Aber Jesus gebietet dann ‘den Winden und dem Meere’: also doch ein Sturm.
Was die Sturmhäufigkeit auf dem See Kinnereth betrifft, so sind die Angaben von G. Dalman in ‘Arbeit und Sitte in Palästina’ wohl die ausführlichsten. Danach wäre ein nächtlicher Sturm im Sommer höchst unwahrscheinlich. ‘Eigentlicher Sturm ist dem Sommer nicht eigentümlich’ (Bd. 1,2 (1928) S. 513). Nachmittags kann der Westwind stark werden, aber nachts herrscht Windstille (S. 511). Wenn wir uns als mögliche Jahreszeit dieses Sturmes (Mk. 4. 37) auf Mai bis September begrenzen, so wären noch die Windverhältnisse des Spätfrühlings zu berücksichtigen. Dalman be-richtet von einem ungewöhnlichen mitternächtlichen Südsturm am 21. Mai 1925, aber in Jerusalem (mit 1000 m Höhenunterschied; S. 320).
Genauere Beobachtungen speziell für den See Kinnereth verdanke ich den freundlichen Mitteilungen von Herrn Henri Volohonsky vom Kinneret Limnological Laboratory in Tabgha, Brief vom 15. Juni 1979, die hier folgen mögen:
‘In the list of our observations from 1970–till 1976 I could find only 21 cases when the stormy wind started after sunset and ceased before sunrise. These phenomena have the following characteristics. They start at 22.23’ (± 2 h 11 min) and finish at 02.34' (± 1 h 43 min). The average duration is 4 hours 20 minutes (± 3 h 30 min), the maximum of wind speed is 10.45 metres per second (± 1.04 m/sec); they start and cease rather sharply. The hourly readings of one hour before they start and one hour after they cease are about 5.5 m/sec, and the first and the last ‘stormy’ values are about 8.5 m/sec (average values). Of these 21 cases, two occurred in summer (in May and July), the rest took place in November, December, January, February, March and April.’
Es ergibt sich also, dass nächtliche Stürme von kurzer Dauer auf dem See Kinnereth durchaus nicht zu jeder Jahreszeit ‘zufallig’ auftreten können, sondern an Gesetzmässigkeiten gebunden sind, und dass sie im Frühsommer ziemlich selten sind (noch seltener in den Monaten August bis Oktober). Auf meine Bitte um Einzeldaten für diese 21 Stürme sandte mir Herr Volohonsky (Brief vom 26. Sept. 1979) eine Statistik, mit der Erlaubnis, sie zu veröffentlichen. Da ich annehme, dass sic von allgemeinem Interesse für die Exegeten ist, soll sie hier mitgeteilt werden (in diesem Brief wurde ein übersehener Sturm hinzugefügt, sowie 4 weitere, die nicht mit Sonnenaufgang beendet waren; sie sind mit * gekennzeichnet):
Dass nur die Jahre 1970–1976 erfasst sind, hat seinen Grund darin, dass seit 1977 der Beobach-tungsort (Anemometer, bisher bei Tabgha im See, etwa 1 km von der Küste) an eine andere Stelle verlegt wurde, sodass die späteren Einzelwerte mit den früheren nicht mehr exakt vergleichbar sind.
[8] Die Episode mit dem geheilten Besessenen, der Jesus nachfolgen möchte (Mk, Lk), fehlt bei Mt, der dafür zwischen Seepredigt und Abfahrt die ähnliche Bitte zweier Jünger einschiebt (Mt. 8. 9–22; dazu Parallele bei Lk mit drei Fällen, Lk. 9. 57–62). Die wahre Situation all dieser (abgelehnten) Bewerbungen war offenbar in der Überlieferung verloren gegangen.
[9] Was Knackstedt, J., NTSt 10 (1964), S. 309–35CrossRefGoogle Scholar nicht beachtet. Eine theologische Begründung für die historische Zweizahl aus der Inspirationslehre zu ziehen, ist nach dem 2. Vaticanum nicht mehr statthaft, denn es wird sich schwer plausibel machen lassen, dass die Zweizahl der Brotver-mehrungen für ‘unser Hell’ belangreich ist; vgl. Johnston, E. D., NTSt 8 (1962), S. 151–4.CrossRefGoogle Scholar
[10] Vgl. Dalman, G., Orte und Wege Jesu (1924), S. 184Google Scholar ‘Das jenseitige Ufer des Sees kann bei ihm (Johannes) nur das östliche sein.’
[11] ‘Il n'y a jamais eu de pont dans ces parages, et au gué, à la crue de printemps, le fleuve a 1 m.25 à 1 m.50 d'eau. Une troupe de 5.000 hommes, sans compter les femmes et les enfants, aurait donc mis un temps infini à passer le fleuve de quelque manière que ce fut’, Meistermann, , Guide, S. 587. – Dagegen Dalman (allerdings für Oktober): ‘Am 10. Oktober 1921 sah ich selbst, dass man den Jordan bei seiner Mündung in den See beinahe trockenen Fusses hätte überschreiten können’, Orte und Wege, S. 172.Google Scholar
[12] Die nie am Ostufer des Sees lag, sondern nahe am Jordan, wahrscheinlich westlich von et-Tell, heute (wegen Versandung der Flussmündung) etwa 1–2 km nördlich von der Mündung; vgl. Anm. 1.
[13] J. Blinzler hat zu zeigen versucht, dass Lk. 13. 1–5 (‘Pilatus vermischte das Blut einiger Galiläer mit dem Blut ihrer Schlachtopfer’) ein Pascha bezeugt, an dem Jesus nicht in Jerusalem war; vgl. ‘Eine Bemerkung zum Geschichtsrahmen des Johannesevangeliums’, in: Biblica 36 (1955), S. 20–35.Google Scholar Aber seine Argumente reichen dafür nicht aus. Schlachtopfer konnten zu jeder Zeit im Tempel dargebracht werden, und dass die Galiläer das Schlachten der Tiere selbst besorgt hätten, gibt der Text nicht her, ebenso wenig die Anwesenheit des Pilatus in Jerusalem, das Eindringen der Soldaten in den Tempelbezirk, usw. Dass Jesus ein Osterfest ohne Wallfahrt nach Jerusalem ver-bracht hätte, ist geradezu undenkbar.
[14] Dass die Erwähnung des Pascha textkritisch sicher ist (vgl. Schnackenburg II, 18 Anm. 3) beweist noch nicht die Echtheit. Auch die Stellung von Kap. 6 nach 5 findet sich in alien Hand-schriften und wird dennoch (mit Recht) als sekundär angesehen. Vielleicht war derselbe Grund, der die jetzige Stellung der Kapitel bedingte, auch ausschlaggebend für die Nennung des Pascha, nämlich die Harmonisierung mit der Ereignisfolge bei den Synoptikern (Vorverlegung, um für die ‘Kleine Brotvermehrung’ und die folgenden Ereignisse mehr Zeit zu gewinnen).
[15] Vgl. Daunan, AS 1/2, S. 334 und OW S. 188 Anm. 2. Dies ist ein ausschlaggebender Grund gegen den Versuch von Mary Shorter, Joh. 6 zwischen Joh. 10. 21 und 22 anzusiedeln, also vor dem Tempelweihfest; in: ExpTim 1973, S. 181–3, ‘The Position of Chapter VI in the Fourth Gospel’. – Eins ist sicher: Wenn man annimmt, dass die heutige Anordnung des Textes von späteren Redaktoren stammt, kann man sie nicht gleichzeitig benützen als Zeugnis des Johannes für eine dreijährige Tätigkeit.Google Scholar
[16] Nach Ritt (Anm. 2) S. 74 batten Brotvermehrung und Seewandel ‘gewiss als jeweils geschlos-sene Texteinheiten unabhängig voneinander Bestand’. Woher weiss er das so gewiss? Hat man Texte, wo eines der beiden getrennt vorkommt? Etwa die Kleine Brotvermehrung? Nur wenn vorausge-setzt wird, dass es in Wirklichkeit nur eine Brotvermehrung gab.
[17] Vgl. Anm. 7. Dalman berichtet dazu ein eigenes Erlebnis. ‘Eine Institutsfahrt über den See am 6. April 1908 ergab ein ähnliches Ergebnis. Wir wollten vom Ostrande unterhalb Hippos her-kommend, das Ufer entlang nordwärts fahren, um bei Bethsaida (= el-mes'adīye!) nochmals zu landen. Aber ein um Mittag (!) sich erhebender starker Wind von Osten machte die Landung un-möglich und trieb uns nach Kapernaum’ (Orte und Wege, S. 189; vgl. 197).Google Scholar
[18] Jesus wird dort wie ein seltener Gast empfangen, beginnt eine Heilungskampagne, muss sich ein Verhör der Sanhedristen gefallen lassen (Mk. 7.1–16) und begibt sich daraufhin in phönizisches Gebiet(Mk.7.24; Mt. 15.21).
[19] Dass die Synoptiker keine klare Anschauung von der Folge der Ereignisse hatten, zeigt auch der Vergleich von Mt. 14. 12 (die Johannesjünger melden Jesu die Hinrichtung des Täufers) mit dem Anfang des Kapitels (14. 1–2): Herodes hört ‘in jener Zeit’ (also gleich nach der Predigt in Nazareth? vgl. Mk. 6. 14; jedenfalls aber vor der ‘ersten’ Brotvermehrung) von Jesus und hält ihn für den auferstandenen Täuter. Die Nazareth-Predigt muss aber ziemlich an den Anfang der galiläischen Tätigkeit gehören(Lk.setzt sie freilich zu früh an, 4.14–16), und diese folgt auf die Gefangennahme des Täufers (Mk. 1.14; Mt. 4. 12). Da bliebe keine Zeit für die Kerkerhaft. Wahrscheinlich haben wir auch hier einen indirekten Hinweis dafür, dass das Staunen des Herodes zusammen mit der Grossen Brotvermehrung an das Ende der Tätigkeit Jesu gehört (anders J. Schmid, zu Mt. 14. 13; Regensburger Bibel).