Published online by Cambridge University Press: 05 February 2009
Vor reichlich 50 Jahren erschien M. Dibelius' ‘Formgeschichte des Evangeliums’ und R. Bultmanns ‘Geschichte der synopt. Tradition’. Das Gedenken an diese beiden großen Gelehrten wäre gewiß der gegebene Anlaß, in dem Eröffnungsvortrag unserer diesjährigen Konferenz ihr für unsere Wissenschaft bahnbrechendes Werk angemessen zu würdigen. Doch habe ich es vorgezogen, nicht einen Gedenk-und schon gar nicht einen Jubiläumsvortrag zu halten, sondern möchte versuchen, auf dem von den Altmeistern der Formgeschichte (FG) offen gelassenen und nur ansatzweise bestellten Feld der sogenannten Redaktionsgeschichte einige Schritte weiterzugehen.
1 Vgl. Bultmann, R., Glauben und Verstehen 4 (1965), S. 38 f.Google Scholar
2 Linton, O., ‘Das Dilemma der synoptischen Forschung’, Th.L.Z. 101 (1976), 881–92.Google Scholar
3 Vgl. Mk 13. 22, Mt 24. 11 f., 24, 1. Kor 16. 22, Phil 3. 2 ff, 1. Pt 4. 12 ff., 2. Pt 3. 2 ff., Jud 17 ff., Apok 22. 9 ff., Did. 16 u. a. Näheres in meinem Aufsatz ‘Die Vorgeschichte des sogenannten Zweiten Korintherbriefes’ in Geschichte und Glaube 11 (Ges. Aufsätze iv, 1971) S. 180 ff.Google Scholar
4 Vgl. Betz, H. D., ‘Eine judenchristliche Kult-Didache in Matthäus’, in Jesus Christus in Historie und Theologie, FS H. Conzelmann (1975), S. 445 ff.Google Scholar
5 Eindeutig steht in Mt 7. 3–5 wie 5. 22 ff., 47, 18. 15 ff. (17!), 21, 35, 23. 8 der Bruder als Mitchrist im Blick, nicht, wie jüngst behauptet, das Verhältnis von Christen und Heiden (gegen Haussen, O., ‘Zum Verständnis der Bergpredigt’, in: Der Ruf Jesu und die Antwort der Gemeinde, FS J. Jeremias, 1970, S. 103).Google Scholar
6 Formgeschichte, S. 250.
7 Weiß, Z. B. J., Schr. d. NT, S. 296Google Scholar; vgl. auch E. Klostermann z. St.: ‘nicht richten, gewiß, aber auch nicht “urteilslos” verfahren!’ und Davies, W. D., The Setting of the Sermon an the Mount (1964), p. 326Google Scholar: ‘to modify the preceding prohibition of judgment probably within the community itself’ (ähnlich p. 392).
8 Haussen, a. a. O.
9 Die nachträgliche Überprüfung meines in Tübingen gehaltenen Vortrages hat mich veranlaßt, die in den Ausführungen über den umstrittenen Spruch 7. 6 aus übergroßer Vorsicht gelassene Lücke zu schließen und meine frühere Exegese zu korrigieren. Ich notiere mit Dank, daß H. v. Campenhausen mich darin in einem eingehenden Gespräch nachdrücklich bestärkt hat.
10 Vgl. Billerbeck 1 447 ff.; Grundmann, W., Matth Ev, S. 220 ff.Google Scholar Die beiden Schimpfwörter ‘Hund’ und ‘Schwein’ finden sich auch in der frühchristlichen Paränese: 2 Pt 2. 22, Barn 10. 3 ff. 10 (vgl. Windinch, H., H.N.T. Erg. Bd. S. 359Google Scholar). – Zum Text von Mt 7. 6a: Im Anschluß an frühere hat Jeremias, J. (Abba, 1966, S. 83–7Google Scholar) die Hypothese vertreten, der griechische Text sei durch Fehlübersetzung des doppelsinnigen aram , das ebenso ‘Heiliges’ wie ‘Ring’ bedeuten kann, entstanden. Ausgesprochen sei in beiden Satzgliedern derselbe Gedanke und also zu übersetzen: ‘Legt den Hunden keinen Ring an und hängt eure Perlen (schnüre) nicht an die Rüssel der Schweine’. Aber diese Hypothese überzeugt nicht, weil sie erstens dazu nötigt, auch für ἓμπροσθεν eine Fehlübersetzung des aram = ‘vor’ oder ‘an die Nase, an den Rüssel’ anzunehmen und βάλλειν abweichend von seiner gängigen Bedeutung ‘werfen’ (hin-, weg-, vor-, auswerfen) mit ‘umhängen’ zu übersetzen. Auch ist die Vorstellung von einer die Tiere aufs äußerste erregenden Täuschung durch-aus nicht, wie J. meint, unsinnig, vielmehr begegnet das Motiv alsbald im matthäischen Kontext 7. 9 (Steine statt Brot usw.). Die herkömmliche Auslegung, in 7. 6a/b sei an ein absurd boshaftes Verhalten gegenüber Hunden und Schweinen zu denken, verdient darum den Vorzug. Auch ist zu beachten, daß das Drohwort auf den tödlichen Schaden abzielt, den die Angeredeten erleiden werden. Das ursprüngliche Kultwort ist hier sichtlich sprichwörtlich ausgeweitet zu einem Drohwort geworden. Für die uns beschäftigende Komposition trägt diese spezielle Textfrage nichts aus.
11 Bekh 15a Bar zu Dt 12. 15: ‘Man löst Heiliges nicht aus, um es die Hunde fressen zu lassen’. Chag 13a: ‘Man überliefert die Worte der Tora nicht einem Goi’ (Weiteres Billerbeck a. a. O).
12 Vgl. W. Grundmann, E. Schweizer z. St.
13 So auch Davies, W. D., The Setting of the Sermon an the Mount (1964), p. 326.Google Scholar
14 Bekanntlich spielt das Motiv der ‘Würdigkeit’ in Mt eine zentrale Rolle (10. 11, 13, 37 f., 22.8).
15 An beiden Stellen findet sich καταπατεīν, das die verwendeten Metaphern streng genommen überzieht. Da das Verb in LXX häufig für Strafaktionen, Verwüstung, Schändung, Verfolgung gebraucht wird (vgl. Bertram, G., Th.W. 5, 941 f., 943 f.Google Scholar), ist zu fragen, ob hier nicht die Sache ins Bild hineinschlägt und beide Verben allegorisch gemeint sind.
16 Selbstverständlich bin ich mir bewußt, daß auch diese Auslegung nur ein Deutungsversuch sein kann, aber m. E. ein Versuch, der Charakter und Stellung des Spruches und den aufgezeigten Kompositionsmotiven in Teil B der Bergpredigt am ehesten gerecht wird. Zu bedenken ist in jedem Fall, daß Mt in dem besagten Abschnitt das Herrengebet nicht frei, sondern mit Hilfe vorgegebenen Spruchgutes kommentiert bezw. glossiert hat und dabei der Verstehenshorizont seiner zeitgenössischen Gemeinde auf Grund der ihr vertrauten Traditions- und Bildersprache zu berücksichtigen ist. Wie so oft sind Abbreviaturen und Verstehensschwierigkeiten in den Texten, die wir nur mühsam überwinden, ein Indiz dafür, daß der Autor damals mit einem unmittelbaren Verständnis rechnen konnte. Auch ist methodisch in Rechnung zu setzen, daß ein Traditionsstück, für sich allein genommen, vielfach noch nicht beweiskräftig sein kann, sondern sein argumentatives Gewicht aus der Konvergenz mit anderen im jeweiligen Kontext erhält. Dieser zeigt in unserem Falle eindeutig, daß in 7. 7–11 nicht mehr der Inhalt des Gebetes, sondern die Übung des Betens Thema ist.
17 Dazu neuesten H. v. Campenhausen, , ‘Gebetserhörung in den überlieferten Jesusworten und der Reflexion des Johannes’, Kerygma und Dogma 23 (1977), s. 157 ff.Google Scholar
18 Exkurs S. 204–206.
19 So mit Recht auch W. D. Davies, a. a. O. p. 399.