No CrossRef data available.
Article contents
Das Primatwort Matthäus 16.17–19 Aus Wirkungsgeschichtlicher Sicht1
Published online by Cambridge University Press: 05 February 2009
Extract
1.1 Die Situation. Das Primatwort Mt 16.17–19 ist heute kein exegetisches Sturmzentrum mehr. Die Exegese wird durch einen ‘kritischen Konsens’ dominiert, der nicht nur fast die ganze evangelische, sondern auch den grösseren Teil der römisch-katholischen Exegese umfasst. Er wird in den USA repräsentiert durch das ökumenische Petrusbuch von Brown, Donfried und Reumann, in Deutschland durch das noch etwas kritischere, von den ökumenischen Universitätsinstituten herausgegebene Buch ‘Papsttum als ökumenische Frage’. Zu den Grundelementen des Konsenses gehört erstens, dass Petrus nicht ‘direkt und unmittelbar’ von Jesus einen Primat empfangen habe, sondern dass das Felsenwort nachösterlich ist. Das zweite Grundelement ist, dass es in unserem Wort nicht um einen ‘eigentlichen Jurisdiktionsprimat’ des ‘sichtbaren Hauptes der ganzen kämpfenden Kirche’ geht, sondern um einen nicht juristischen Vorrang des Petrus. Er wird heute am ehesten darin geshen, dass Petrus in exemplarischer Weise ‘vornehmlicher Träger der Jesusüberlieferung’ ist. Drittens ist vor allem durch Cullmanns Petrusbuch klar geworden, dass der Gedanke der apostolischen Sukzession nicht mit
- Type
- Articles
- Information
- Copyright
- Copyright © Cambridge University Press 1991
References
2 Brown, R., Donfried, K. P. und Reumann, J., Peter in the New Testament (Minneapolis, 1973).Google Scholar
3 Papsttum als ökumenische Frage, hrsg. von der Arbeitsgemeinschaft ökumenischer Universitätsinstitute (Mainz-München, 1979).Google Scholar
4 Pastor aeternus, Cap. 1, Canon = DS36 3055, vgl. ebd. Cap. 3 Canon = 3064.
5 Mussner, F., Petrus und Paulus - Pole der Einheit (QD 76; 1976) 123.Google Scholar
6 Cullmann, O., Petrus. Jünger – Apostel – Märtyrer (Ausgabe Hamburg, 1967Google Scholar; Siebenstern-Taschenbuch 90/91) 231–63. Vgl. das klare Fazit Pesch, von R., Simon-Petrus (PuP 15; 1981) 162, 166Google Scholar: ‘Von vornherein ist klar, dass Petrus in manchen Funktionen, Rollen oder “Ämtern”, die er wahrnahm, keinen “Nachfolger” haben konnte…. Wennich recht sehe, konnte der Gedanke an “Nachfolger” des Petrus überhaupt erst aufkommen, als sich der Monepiskopat nach den früheren Anfängen im Osten auch in der Kirche des Westens durchsetzte.’
7 Vgl. Pastor aeternus, Cap 2 Canon = DS36 3058.
8 Zuerst wohl in der Epistula Clementis ad Jacobum 2 (= GCS 42, 6 f.), die Strecker, G., Das Judenchristentum in den Pseudoclementinen (TU 70; 1958) 90Google Scholar der Grundschrift zurechnet. Dort wird Clemens (!) von Petrus in Rom zu seinem Nachfolger eingesetzt.
9 Burgess, A., A History of the Exegesis of Matthew 16,17–19 from 1781 to 1965 (Ann Arbor, 1976) 163Google Scholar. Das Monitum bezog sich auf Vögtles Aufsatz von 1957: ‘Messiasgeheimnis und Petrusverheissung. Zur Komposition von Mt 16. 13–23’, BZ NF 1 (1957) 252–72Google Scholar; 2 (1958) 85–103 = ders., Das Evangelium und die Evangelien (KBANT) 137–70.
10 De Revelatione II 8 = LThK XIII 518 f.
11 Link, H., Rezeptionsforschung (UB 215; 1976) 125Google Scholar: ‘Die Wahrheit des Textes ist seine Geschichte’; Jauss, H. R., Literaturgeschichte als Provokation (Frankfurt, 4 1974) 186Google Scholar: ‘Das Urteil der Jahrhunderte’ über einen Text ist ‘die sukzessive Entfaltung eines im Werk angelegten … in seinen historischen Rezeptionsstufen aktualisierten Sinnpotentials’.
12 Vgl. Gadamer, H. G., Wahrheit und Methode (Tübingen, 1960) 280 f.Google Scholar
13 Vgl. die Überlegungen Boff, von C., Theologie und Praxis (München-Mainz, 1983) 229–31.Google Scholar
14 Vgl. Lapide, z.B. C. a, Commentarius in quatuor Evangelium. Argumentum in S. Matthaeum (Antwerpen, 1670) 319Google Scholar: Die Schlüssel sind ein Attribut der Könige und Regenten, nicht der Lehrer oder Prediger.
15 Kasper, W., ‘Dienst an der Einheit und Freiheit der Kirche’, in: Ratzinger, J. (Hg.), Dienst an der Einheit (Düsseldorf, 1978) 85.Google Scholar
16 Cyprian, , Ep 75, 17Google Scholar. Cyprian hält diese Auslegung für eine ‘aperta et manifesta … stultitia’.
17 Tertullian, , Pud 21Google Scholar. Die Deutung der Stelle auf Kallist von Rom wird heute von den Kirchengeschichtlern eher abgelehnt. Sie könnte aber durch eine ähnliche Polemik des Origenes, In Mt 12.11 = GCS Orig X 86 gestützt werden. Auch hier wird Rom nicht explizit genannt; Origenes war aber einmal in Rom, vgl. Euseb, , Hist Eccl 6, 14, 10.Google Scholar
18 Ludwig, J., Die Primatworte Mt 16,18.19 in der altkirchlichen Exegese (NTA 19/4; 1952) 61–70Google Scholar nennt vor Leo d. Gr. nur Optatus von Mileve (der sich der Autorität Roms im Kampf gegen den Donatismus versichert, das Konzil von Aquileja 381 und Hieronymus (der diese Deutung in einem Brief an den Papst [Ep 15,2], nicht aber sonst vertritt).
19 Fröhlich, K., Formen der Auslegung von Mt 16,13–18 im lateinischen Mittelalter (Tübingen, 1963) 117Google Scholar: ‘Der Primatsbeweis ist … der einzige Ort, an dem (sie) … sich gegen den siegreichen Strom der östlichen und augustinischen Konkurrenzdeutungen behaupten konnte.’
20 Aquino, Thomas v., Super Evangelium S. Matthaei Lectura (Roma/Torino, 5 1951)Google Scholar Nr. 1384.
21 Erstmals bei Caietan, J., Commentarii in Evangelium (Venezia, 1530) 91Google Scholar; besonders pointiert bei Bellarmino, R., De Romano Pontifice (Sedan, 1619) 72–105Google Scholar. Vgl. den Text von Mt 16. 18 in der Peterskuppel in Rom!
22 Apk Petr NHC VII 71,14–72,4 (Petrus als Typ des Offenbarungsträgers); Luz, U., Das Evangelium nach Matthäus II (Mt 8–17) (EKK I/2; Neukirchen-Zürich, 1990) 471Google Scholar Anm. 117: Berger, K., ‘Unfehlbare Offenbarung’, in: Müller, P. G./Stenger, W. (Hg.), Kontinuität und Einheit (FS F. Mussner; Freiburg, 1981) 279, 285.Google Scholar
23 Pud 21.
24 Fr 345 II = GCS Orig XII 149.
25 Praescr Haer 22,4 f.
26 Vries, W. de, Der Kirchenbegriff der von Rom getrennten Syrer (OChrA 145; 1955) 24–33, 61–7.Google Scholar
27 Luz, , Mt II (o. Anm. 22) 477Google Scholar Anm. 158.
28 Origenes, In Mt 12,10 = GCS Orig X 86. Origenes spielt auf 1 Kor 10.4 an.
29 In Joh 124,5; Retract 1,20,2, weitere Stellen bei Haendler, G., Zur Frage nach dem Petrusamt in der alten Kirche (StTh 30; 1976) 114–17.Google Scholar
30 De Inc Dom Sacr 4,32 = CSEL 79 (1964) 238 f.
31 Commentarii initiatorii in quatuor Evangelia (Basel, 1523) 178 = 75.Google Scholar
32 Annotationes in: Opera omnia VI (Nachdruck Hildesheim 1962) 88.
33 Vgl. Tostatus bei Gillmann, F., Zur scholastischen Auslegung von Mt 16,18 (AkathKR 104; 1924) 51.Google Scholar
34 Tractatus de potestate Papae, BSLK4 480.
35 Mülhaupt, E., Luthers Evangelienauslegung, 2 (Göttingen, 4 1973) 539Google Scholar (Predigt von 1522).
36 Salmeron, , Commentarii in Evangelicam Historiam 4 (Coloniae Agrippinae, 1612) 3,2 = 387–400Google Scholar; Bellarmin a.a.O. (o. Anm. 21) 1,10–13.
37 H. Koch hat seinen Stelle in Braunsberg wegen seiner ‘episkopalistischen’ Cyprian-interpretation (1910) verloren.
38 Hoffmann, P., ‘Der Petrus-Primat im Matthäusevangelium’, in: Gnilka, J. (Hg.), Neues Testament und Kirche (FS R. Schnackenburg; Freiburg, 1974) 100.Google Scholar
39 Im Anschluss an Vögtle, ‘Messiasgeheimnis’ (o. Anm. 9) 166 f., 169 u.a. Brown-Donfried-Reumann, Peter (o. Anm. 2) 89 (zum Teil); Gnilka, J., Das Matthäusevangelium II (HThK 1/2, 1988) 54Google Scholar. Der Vermutung von Klein, H., ‘Zur Traditionsgeschichte von Mt 16,16b.17’, in: Christus bezeugen (FS W. Trilling; EThSt 59, 1989) 124Google Scholar ff., Mt 16, 16b, 17 könnte ein Bekenntnis eines Täuflings und die Antwort des Täufers darauf sein, könnte ich in dem Sinn aufnehmen, dass sich Mt in freier Weise an solche Formulierungen anlehnt. Dadurch würde wiederum der typische Charakter des Petrus herausgehoben.
40 Gnilka, II (o. Anm. 39) 56.
41 Vgl. Luz, , Mt II (o. Anm. 22) 454Google Scholar Anm. 12.
42 So Kähler, C., ‘Zur Form- und Traditionsgeschichte von Mt 16,17–19’, NTS 23 (1976/1977) 46–56.CrossRefGoogle Scholar
43 Claudel, G., La Confession de Pierre. Trajectoire d'une péricope Evangélique (EB NS 10; 1988) 373Google Scholar nimmt hinter 16.18 einen authentischen Zuspruch Jesu an Petrus an, der allerdings nicht mehr rekonstruiert werden könne. Gründe für diese Annahme finde ich eigentlich keine. Allerdings ist zuzugeben, dass auch die Gründe gegen die Authentizität von V. 18 nicht sehr stark sind: Sieht man einmal vom griechischen Charakter des Wortspiels $$$∏ἐιρος – πἐιρα ab (s.u.), bleibt eigentlich nur der (richtige!) Hinweis, Jesus könne nicht von der Gründung seiner Sondergemeinde in Israel gesprochen haben. Fasst man aber das $$$μου als mt Red. auf, was sprachlich überhaupt nicht beweisbar ist, aber zur mt $$$ὲασιλἐία des Menschensohns formal passen würde, so bliebe nur noch das Argument, dass ἐκκλησία nicht der Jesussprache entspricht.
44 So Brown-Donfried-Reumann, z.B., Peter (o. Anm. 2) 92Google Scholar und alle die, die hinter V. 17–19 einen Teil eines alten Osterberichts vermuten.
45 Dabei muss man nicht unbedingt eine späte Entstehung annehmen. Pesch, z.B. R., Simon-Petrus (PuP 15; 1980) 100 fGoogle Scholar. vermutet, dass 1 Kor 3 polemisch auf Mt 16. 17–19 Bezug nehme. Er nimmt den antiochenischen Konflikt als Entstehungssituation an. Caroll, K., ‘Thou art Peter’, NT 6 (1963) 275 fGoogle Scholar. vermutet eine Unabhängigkeitserklärung der antiochenischen Kirche von Jerusalem.
46 Luz, , Mt II (o. Anm. 22) 457Google Scholar Anm. 35.
47 Vgl. Luz, , Mt II (o. Anm. 22) 458Google Scholar Anm. 46.
48 Lampe, P., ‘Das Spiel mit dem Petrus-Namen’, NTS 25 (1978/1979) 231–9.Google Scholar
49 A.a.O. (o. Anm. 43) 338–43: Ein Wortspiel mit dem gleichen Wort sei ästhetisch befriedigender. Die weite Verbreitung von Kepha im frühesten Christentum und seine Verbindung mit den Zwölfen (1 Kor 15.5) lege nahe, dass dieser Beiname von Anfang an eine ekklesiologische Bedeutung gehabt habe. Das erste Argument ist eine Ermessensfrage. Das zweite besagt nichts, da wir die ursprüngliche Bedeutung des Beinamens Kepha auch nach C. nicht kennen. Lampes Vermutung (a.a.O. 238 f.), der Beiname habe einen weltlich-humorvollen Klang gehabt, lässt sich zwar durch rabbinische und lassische Parr. stützen (ebenso alligemein verbreitet: Aristokles = Platon, cf. Luz, , Mt II [o. Anm. 22] 458Google Scholar Anm. 42; klassische Parr. für metaphorischen Gebrauch von πἐιρος - πἐιρα bei Lampe a.a.O. 241 Anm. 9), bleibt aber blosse Vermutung. Das einzig wirkliche Argument ist das sprachliche. Hier lautet die Frage: Ist das überwiegende Zeugnis der Targumim (nicht nur Onkelos und Jonathan!), aber nur der Targumim, für = = Felsen ein Zeugnis für einen alteren palästinisch-aramäischen Sprachgebrauch, der sich vom später üblichen Sprachgebrauch = Bollenstein, Kieselstein, runder Stein oder Felsen, Ufer unterschieden hätte? Oder handelt es sich hier um einen speziell biblischen Sprachgebrauch, der darauf zurückzuführen ist, dass die Targumisten hebr. und unterscheiden wollten? Nur eine exakte Untersuchung des Sprachgebrauchs der Targumim kann hier weiterführen.
50 Lampe a.a.O. 243; Luz, , Mt II (o. Anm. 22) 457Google Scholar Anm. 38.
51 Kritisch gegen Hummel, R., Die Auseinandersetzung zwischen Kirche und Judentum im Matthäusevangelium (BEvTh 33; 1963) 59 f.Google Scholar
52 Vgl. Luz, U., ‘Die Jünger im Matthäusevangelium’, ZNW 62 (1971) 159–65CrossRefGoogle Scholar. Hoffmann, , Petrus-Primat (o. Anm. 38) 110Google Scholar: Die (historisch-einmalige) Bindung der Jünger an Jesus, die in Petrus exemplarisch deutlich wird, gehört ‘zur bleibenden Eigenart der Kirche’.
53 Mussner (o. Anm. 5), vgl. 137; Pesch (o. Anm. 45) 143 f.; Gnilka, , Mt II (o. Anm. 39) 69Google Scholar; Schnackenburg, R., ‘Petrus im Matthäusevangelium’, in: A cause de l'Evangile (FS J. Dupont; LeDiv 123, 1985) 124 f.Google Scholar; Hoffmann (o. Anm. 38) 114.
54 Auf die Nähe zwischen beidem macht Sato, M., Q und Prophetie (WUNT II/29, 1988)Google Scholar aufmerksam.
55 Mir ist in diesem Kontext wichtig, was Sanders, J. A., From Sacred Story to Sacred Text (Philadelphia, 1987)Google Scholar, bes. 166 f. als ‘canonical process’ bezeichnet. Dieser lebendige Prozess wird durch den Abschluss des Kanons nicht ‘eingefroren’, sondern geht als lebendiger Auslegungsprozess weiter.
56 Hier hat Ebeling, G., ‘Kirchengeschichte als Geschichte der Auslegung der Heiligen Schrift’, in ders., Wort und Tradition (Göttingen, 1964) 9–27Google Scholar die entscheidenden Anstösse gegeben. Bei Ebeling findet sich auch schon der für meinen hermeneutischen Ansatz entscheidende Satz: ‘Die Kirchengeschichte als Geschichte der Auslegung der Heiligen Schrift ist also die Geschichte der Gegenwärtigkeit des unter Pontius Pilatus gekreuzigten und auferstandenen Jesus Christus’. Eben dies möchte ich mit den beiden im folgenden zu entfaltenden ‘Kriterien’ der Geschichte Jesu und der Liebe entfalten.
57 Miguez-Bonino, J., Theologie im Kontext der Befreiung (Thö 15, 1977) 80 f.Google Scholar
58 Schindler, A., ‘Vom Nutzen und Nachteil der Kirchengeschichte für das Verständnis der Bibel heute’, Reformatio 30 (1981)Google Scholar, bes. 265 f.: Schindler vergleicht Text und Auslegungs- bzw. Wirkungsgeschichte mit einer Wurzel und einem Baum und formuliert: ‘Zur Bibel gehört als Element ihrer selbst das vielstimmige kirchliche Echo von Jahrhunderten’ (265).
59 13 f. Konsequent ist dann die Folgerung: ‘Nicht auf die Schrift hat man sich zu berufen’ (19).
60 Ebd. 7–11.
61 Phantasie und Gehorsam (Stuttgart, 1968) 16.Google Scholar
62 De Doctr Christ 1,36 (40); 3,15 (23).
63 Vgl. z.B. 1 Kor 1.10–3. 23; 8.1–6; Joh 15.1–17; Mt 7.15–23; 13.18–23.