Published online by Cambridge University Press: 05 February 2009
Bei der Durchsicht der Brāhmī-Handschriften der “ Mainzer Sammlung / [Mz]1 entdeckte einer der beiden Verfasser [Maue] mit Mz 639 ein Fragment, das neben Sanskrit eine Übersetzungssprache enthielt, die aufgrund einiger Indizien dem Iranischen, am ehesten dem Sogdischen, zuzuordnen war. Anhand einer ersten vorlä ufigen Umschrift konnte Professor R. E. Emmerick (Hamburg) das Sakische ausschlieβen. Der zweite Autor [Sims-Williams] erkannte darin zweifelsfrei das Sogdische. Somit ist nun auch dieser mir. Dialekt in Brā hmī belegt und erstmals ein sogd. Textstück, das definitiv auf eine Sanskritvorlage zurückgeführt werden kann. Der besondere linguistische Wert liegt in der durch die Schriftart erzwungenen vollen Vokalisierung. Das neu entdeckte Bruchstück nährt die Hoffnung auf weitere sogdische Materialien in Brāhmī.2 Die lesbaren und verständlichen Teile des Blattfragments lassen klar erkennen, daβ esp. sich um einen Heilkundetext handelt, vermutlich einen Abschnitt über Augenkrankheiten.3 Wir haben Reste von vier Rezepturen oder Paragraphen, wie die erhaltenen Zahlen beweisen, die es auch erlauben, Vorderund Rückseite zu bestimmen. Im übrigen aber ist das Blatt so sehr fragmentiert und die Schrift teilweise so stark abgerieben, daβ das gewohnte Schema (zu behandelnde Krankheit, Zusammensetzung des Medikaments und dessen Dosierung) an verschiedenen Stellen zwar noch durchscheint, aber im einzelnen nicht rekonstruiert werden kann. Dies beeintrachtigt die Sicherheit und das Verständnis der Lesungen. Hier kann der entscheidende Fortschritt nur vom Mūla-Text oder zumindest von Paralleltexten kommen Die Suche danach, an der sich freundlicherweise auch R. E. Emmerick beteiligte, hat bisher nur zu einem negativen Ergebnis geführt:
1 Es handelt sich dabei um den Teil der Berliner Turfanfunde, der nach Beendigung des 2. Weltkriegs an die Mainzer Akademie der Wissenschaften und der Literatur zur Verwahrung und Restaurierung gegeben wurde. Als Depositum der Preuβischen Akademie der Wissenschaften werden diese Handschriften derzeit in der Orientabteilung der Staatsbibliothek Preuβischer Kulturbesitz zu Berlin aufbewahrt. Dieser Institution danken wir für die Erteilung der Publikationsgenehmigung und die Bereitstellung von Photos des Fragments Mz 639.
2 Diese Erwartung hat sich tatsächlich erfüllt, als Maue, D. im Oktober 1990Google Scholar Teile der Turfanfunde der Akademie der Wissenschaften (Berlin) einer schnellen Durchsicht unterziehen konnte. Drei Stücke waren sofort als sogdisch zu identifizieren, eines davon definitiv durch Dr. W. Sundermann. Für andere, weniger gut lesbare Fragmente steht die Bestätigung noch aus.
3 Vgl. netra (r3), kusuma (r4), vartman (vl) und die sichere Ergänzung in v7. Auch die erkennbaren Ingredientien sprechen nicht gegen diese Annahme.
4 Vgl. zu r3 und besonders zu v7.
5 Vgl. u. die Bemerkungen zu r3.
6 Lore Sander: Paläographisches zu den Sanskrithandschriften der Berliner Turfansammlung (Wiesbaden, 1968). Hier: S. 182 f. und Tafeln 29 ff. Als einziges der drei Leitakṣaras für die Zuordnung zum Alphabet u findet sich in unserer Handschrift das ṇ in den Ligaturen rṇi (r3) und ṇḍu (r7).
7 Das sind die Grapheme γ (r2, r3), δ (r2, r4), z (rl, r6, v3), ź (vl) Die Grapheme w (r2, r3 (bis), r4, r5), ḵ (r3, r4, r6) und ṟ (rl, r6, v4) teilt das Tumšuq-Sakische mit dem Tocharischen. Allerdings ist einschränkend hinzuzufügen, daγ ḵ und ṟ im Toch. entweder mit Reduktionsvokal oder vokallos sind, im Tumšuq-Sakischen dagegen durchaus vokalisiert. In unserer Handschrift wiederum warden sie als virāmisierte Finalvarianten verwendet, wie das in der uig. Brāhmī die Regel ist. Dasselbe gilt für die in der folgenden Anm. genannten Sonderzeichen unter Ausschluγ des Tumšuq-Sakischen.
8 Die auch im Tumšuq-Sakischen vorkommenden tocharischen Sonderzeichen sind bereits in der vorausgehenden Anmerkung genannt. Tocharisch, aber nicht tumšuq-sakisch belegt sind die Finalformen -ṯ (r2, r4) und -ḻ (r5). Angefügt sei noch die Besonderheit, die unsere Handschrift mit dem Toch. und besonders auch dem Uig. teilt: die habituelle Darstellung des silbenauslautenden-n durch Anusvāra.
9 Über die Sonderformen der nordturkestanischen Brāhmī und ihren wechselseitigen Beziehungen handelt D. Maue: “ Sanskrit-uigurische Bilinguen aus den Berliner Turfanfunden” (Gieγen, 1981; unpubl. Habil.-Schrift), S. XVII ff.; ders.: “A tentative stemma of the varieties of Brāhmī script along the Northern Silk Road, ” in: Languages and scripts of Central Asia (London, im Druck).
10 Die Existenz von Sogdisch in einer indischen Schrift wurde von Hansen, O. (in: Handbuch der Orientalistik, I, IV, 2, Lfg. 1, Leiden, 1968, S. 85, Anm. 1)Google Scholar gefordert auf der Grundlage eines Kolophons, der offenbar Bezug nimmt auf die Transkription eines Sūtra “ aus der indischen in die sogdische Schrift (np'yk, vgl. Henning, W. B. in BSOAS, xx, 1957, S. 337)Google Scholar ”. Jedoch gehört der fragliche Kolophon (vgl. dazu MacKenzie, D. N.: The Buddhist Sogdian texts of the British Library, Tehran-Liège, 1976 (Acta Iranica, 10), I, S. 10–11)Google Scholar in das Jahr 728. Die dort gemeinte indische Schrift kann also nicht die in unserem Fragment verwendete Varietät der sogdischen Brāhmī gewesen sein, da diese nach unserer Vermutung von der uig. Brāhmī abgeleitet ist, die ihrerseits nicht vor dem 9. Jh. entstanden sein kann.
11 Nichtunterscheidung von i und īist in den skt.-uig. Bilinguen die Regel.
12 Vgl. dazu die in Anm. 9 genannte Literatur.
13 [r]o[δ] r6; ārire v3, awtame[θ] r2, hune r2, ine v2(?) u. v4, mize rl, ne rl, wec r3, z[i]rle v3.
14 Vgl. hune r2, [l]utlar r6; ine v2(?) u. v4, mize rl.
15 Dessen Vokal ist ein aus air. *a durch Palatalisierung entstandenes kurzes /e/ oder /i/ und liegt so auγerhalb der Regel.
16 [c]ch[a]myā r3 und kyā rl.
17 Für eine mögliche Erklärung vgl. den Kommentar zur Stelle.
18 Auβerhalb der angegebenen Textteile gilt die semantische Festlegung der Zeitschrift. Dies betrifft insbesondere die Kursivschreibung.
19 Die regelmäγige, aber nicht ausnahmslose Überpunktierung dieser Aksaras wird nicht in die Transliteration übernommen, da hierdurch das Schriftbild ohne Informationsgewinn zusätzlich belastet würde.
20 Statt hri ist auch pri m[ ] möglich, aber unwahrscheinlich.
21 Der Verlust eines Akṣaras ist unsicher.
22 Möglich auch: źa.
23 Die Anbindung des /an das vorausgehende Aḳṣara ist wohl nur abgerieben. Danach aber fehlt die Trennmarkierung (|) gegenüber dem Skt.-Teil.
2 4 Oder:.
25 Oder: vaṃ.
26 Oder weniger wahrscheinlich: .
27 Vielleicht erg. zu m[e], vgl. v4.
28 Problematisches Aksara aus zwei konsonantischen Bestandteilen, dessen zweiter ein κ sein könnte, falls der geschwänzte Abstrich nicht u–Diacriticum ist. Fragwürdig in jedem Falle ist der horizontale Strich am oberen Ansatz der Hasta. Der über dem Aksara erkennbare Punkt ist wohl eher Anusvāra als e–Vokalisierung.
29 Eventuell andere Vokalisierung.
30 Trennmarkierung unter der Zeile nachgetragen.
31 Hypertropher Anusvāra.
32 Undeutlich, jedenfalls kein Doppeldanda wie in r5 und v3; möglicherweise ein verwischtes Akṣara' dann fehlt die Grenzmarkierung.
33 Die Reste des Akjaras sprechen eher gegen ein δ.
34 Vgl., Henning in BSOAS, xi, 3, 1945, 472Google Scholar, Tale D, Z. 5. Die christl.-sogd. Entsprechung bt'myθ ist in unveröffentlichten Manuskripten belegt.
35 Vgl. auch sak. bvākä vījä “id.” in Siddhasāra 25.32 (= fol. 144 v3 in KT I, 86).
36 Freundlicher Hinweis von R. E. Emmerick.
37 Vgl. Filliozat ,146.
38 Bailey, Vgl. dazu H. W. in BSOAS, VIII, 1, 1935, 139Google Scholar. Ein sogd. Äquivalent dieses Wortes könnte bezeugt sein als tr'ywr in P19, Z. 14, von Henning, W. B. in BSOAS, xi, 4, 1946, 713CrossRefGoogle Scholar, Anm. 5 wiedergegeben durch “Ipomoea turpethum”.
39 Vgl, Filliozat, 135Google Scholar.
40 Vgl., Filliozat, 133Google Scholar.
41 Hk. II, 426, 123.
42 Hk. II, 123 (… zira) mit Anmerkung zur Stelle: “Es könnte ebensogut zirk gelesen werden ”.
43 Vgl. Si., Vol. I, S. 189, Nr. 132.—Zur Sache vgl. z.B. M. Schmidt, Yog., Kommentar zu Strophe 18 mit weiterer Literatur.
44 Gershevitch, Vgl. hierzu I.: A grammar of Manichean Sogdian (Oxford, 1954), S. 246Google Scholar, §526A.
45 Zitiert bei Filliozat, 38, Anm. 1.
46 Weber, Vgl. D.: Die Stellung der sog. Inchoativa im Milteliranischen (Göttingen, 1970), S. 54Google Scholar.
47 MW 1273a nach Suśruta.
48 Gershevitch, Vgl. I.: Philologia Iranica (Wiesbaden, 1985), S. 53 s.v. 'śy– und S. 130Google Scholar.
49 Vgl. z.B. die entsprechende Bedeutungserweiterung bei dem deutschen Verbum beiβen.
50 Henning, W. B.: Sogdica (London, 1940), S. 5, Frgm. IV, 1Google Scholar.
51 Vgl. pers. muž(e) “Wimper, Lid” und sak. tcim–mūlä (<*čašma-muž-la- oder vielleicht nur°-muža-), das türk. kapak “Lid” wiedergibt, wozu vgl. Sims-Williams, N. in IIJ, XXXII, 1989, S. 49Google Scholar.
52 Sims-Williams, Vgl. N. in Compendium Linguarum Iranicarum (Wiesbaden, 1989), S. 184Google Scholar f. Zum hiattilgenden –y– vgl. Sims-Williams, N. u. Hamilton, J.: Documents turco–sogdiens du ixe–xe siècle de Touen–houang (London, 1990), S. 44,Google Scholar E5.2.
53 Letztlich aus skt. harītakī über eine pkt. Zwischenform, die derjenigen ähnlich gewesen sein muβ, die zu sak. halīraa– und pers. halīle geführt hat. Die Darstellung eines fremden I durch r und des anlautenden (h)a– durch ā– sind im Sogd. üblich.
54 Dieselbe Schreibweise wie hier hat Mz 192 r3, eine Bilingue mit Teilen des Yogaśataka; Mz 190 Al liest arire, TT VIII G36 āririg mit einem i im allerdings durch das Akkusativmorphem (–g) gedeckten Auslaut.
55 So im Tibetischen z.B. Si. 26.56 yuṅ daṅ skyer-pa, skt. niśādvaya; im Khotansakischen z.Ḃ.KT I, 141: 50 vl halaidrra ysālva, skt. haridre; im Uig. Hk. II, 428, Z. 180 als Wiedergabe von niśe (Si.12.11) [sarty pwk'] yivilγu, wo zweifelsfrei nach Z. 121 ergänzt werden kann.
56 Nach Mvy. 5922 Entsprechung von skt. haridrā. Vgl. auch Pálos, 36 und bes. Laufer, 312 ff., Schafer, 185 f.
57 Vgl. Filliozat, 106.
58 Anders als im sogd. Glossar wird für das Sanskrit auf die genaue Angabe des Belegstands verzichtet. Die Wörter werden in ihrer Normalform aufgeführt.