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Theaterarbeit zwischen Universität und Favela
from The Creative Spectator: Contributions Originating at the 2013 IBS Symposium in Porto Alegre, Brazil
Summary
Dies ist ein zusammenfassender Rückblick auf eine Theaterarbeit, die ich von 2009 bis 2014 mit einer Gruppe von Lehrern und Schülern einer Grundund Sekundarschule in der Favela Terra Firme in der Amazonas-Metropole Belém durchgeführt habe. Unsere Text-Grundlage war das Werk von Dalcídio Jurandir (1909-1979), eines Schriftstellers aus jener Region, der in einem zehnbändigen Romanzyklus (1941-1978) die Lebensbedingungen und die Alltagskultur der Bewohner Amazoniens, besonders der unteren Gesellschaftsschichten dargestellt hat. Der Handlungsraum des Zyklus ist die Großstadt Belém mit ihrer fluvialen Umgebung (der Marajó-Archipel bis zum Unterlauf des Amazonas); in fünf der Romane sind es die Vorstädte mit ihren Favelas. Die dargestellten Geschichten und Probleme spielen in den 1920er Jahren, doch strukturell haben sich die Lebensbedingungen der Bewohner der Randbezirke seitdem nur wenig verändert, sodass unsere Darsteller sich damit identifizieren und Situationen interpretieren, die ihrer alltäglichen Erfahrung entsprechen und über die sie anhand dieser Texte reflektieren.
Mein Kontakt mit der Gruppe von Terra Firme kam im Januar 2009 auf dem Welt-Sozialforum in Belém zustande. Damals hatte ich schon einige Erfahrungen mit szenischen Adaptationen narrativer Texte und während der Jahre 2007 und 2008 hatte ich Dalcídio Jurandirs Roman Belém von Groß-Pará (1960) eingehend studiert, dessen Schauplatz die zentralen Viertel von Belém, d.h. die Wohnorte der Mittel-und der Oberschicht sind. Nunmehr ergab sich die Gelegenheit, die Peripherie der Stadt im Dialog mit deren Bewohnern anhand der fünf darauf folgenden Romane näher kennenzulernen: Passage der Unschuldigen (1963), Der erste Morgen (1967), Brücke zur Vorstadt (1971), Die Bewohner (1976) und Land der Wölfe (1976).
Wir begannen unsere Theater-Werkstatt mit der Umsetzung des Romans Passage der Unschuldigen (276 S.) in ein Skript mit einer Auswahl von zehn Szenen. Dieses unser erstes Theaterstück bzw. szenische Lesung haben wir im November 2009 in der Schule Dr. Celso Malcher in Terra Firme aufgeführt. Daraufhin wurden wir eingeladen, es auch in der Universidade da Amazônia (UNAMA) in Belém zu präsentieren, was im April 2010 geschah, mit anschließender Diskussion. So kam ein Dialog zustande zwischen einem akademischen Publikum und Bewohnern der Favela bzw. der “Peripherie,” wie sie sich selber meistens nennen.
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- The Brecht Yearbook / Das Brecht-Jahrbuch 39The Creative Spectator, pp. 56 - 73Publisher: Boydell & BrewerPrint publication year: 2016