Die gegenwärtigen Vorstellungen zur Chronologie der Ǧamdat Naṣr- und der beginnenden Frühdynastischen Zeit im südlichen Babylonien werden immer noch weitgehend von den Ausgrabungen im Diyālā-Gebiet bestimmt. Das liegt einerseits an dem Fehlen eines vergleichbaren Arbeitsprojektes in Babylonien, andererseits an der noch nicht erfolgten Auswertung vorhandener und publizierter Ausgrabungen in dieser Region.
Eine dieser lange Zeit brachgelegenen Auswertungsmöglichkeiten bietet der sog. Ǧamdat Naṣr-Friedhof in Ur. In den frühen dreißiger Jahren von Sir Leonard Woolley ausgegraben, stellen die Funde aus diesen Gräbern immer noch den einzigen größeren, zusammenhängenden Fundkomplex dieser Periode aus Süd-babylonien dar. Im folgenden sollen nun die Ergebnisse einer neuerlichen chronologischen Auswertung und die daraus resultierenden Vorstellungen zur sozialen Unterschieden in diesem frühen mesopotamischen Gräberfeld dargestellt werden.
Der schon in den dreißiger Jahren fertiggestellte endgültige Bericht über die Ausgrabungsergebnisse des sog. Ǧamdat Naṣr-Friedhofs wurde von L. Woolley im Rahmen des vierten Bandes der Ur-Publikationsreihe veröffentlicht. Der Autor legte dort das Material, nach einer frühen statistischen Methode in klassischer Dreiteilung geordnet, vor. Diese Methode stützte sich auf die Kombination der Gefäßbeigaben und die Stratigraphie der Gräber. Da der Hauptteil des Friedhofs in zwei getrennten Ausgrabungsschnitten, X und W, vorgefunden wurde; und diese, neben vielen Ähnlichkeiten auch Unterschiede eigentümlicher Art aufwiesen, hielt L. Woolley den größten Teil der Funde aus W für spärer, als die aus X. Nach dem Vorkommen dreifarbig-bemalter Ǧamdat Naṣr-Ware datierte er den gesamten Fundkomplex in eben diese Zeit.