Της ϕυσϵως γραμματϵυς ην τον καƛαμον αποβρϵχων ϵυνουν.
[Der Natur Schreiber war er, das Schreibrohr eintauchend, das wohlgesinnte.]
—Hölderlin, Anmerkungen zum OedipusBildung, exzentrische Bahn und tragische Schönheit
Schon mit dem Hyperion-Roman, der 1797 und 1799 in zwei Bänden erschien und der so enthusiastisch und idealistisch formuliert war, betreten wir den tragischen Kosmos von Hölderlins Dichtung. Das Motto des ersten Bandes, das einem Epitaph für Ignatius von Loyola, den Gründer des Jesuitenordens, entnommen ist, lautet: “Non coerceri maximo, contineri minimo, divinum est,” und kann von uns übersetzt werden mit: “Vom Größten nicht verkümmert und noch vom Kleinsten liebend umfangen werden, heißt wahrhaft göttlich ereignet zu sein.” Im schroffen Gegensatz dazu steht das Motto zum zweiten Band, das Sophokles’ Tragödie Ödipus auf Kolonos (Vers 1224–27) entnommen ist:
Nicht geboren sein—schönster Wunsch!
Führte aber der Weg ins Licht,
Dann aufs schnellste den Weg zurück,
Das ist das Beste danach, bei weitem.
Wenn das zweite Motto nicht ein Widerruf des ersten sein soll, vielmehr zwischen beiden ein Spannungsbogen besteht, kann das nur heißen: Der Weg ins Licht göttlichen Umfangen-seins führt nicht ins Ewige. Vielmehr wird er durch eine geradezu gesuchte Kunst der Endlichkeit und des Untergehens umgebogen, um erst dadurch in ein wahrhaftes Ereignet-Sein zu finden.
Hölderlin hat in einige Exemplare der beiden Bände bemerkenswerte Widmungen eingetragen. In den ersten Band, den er seiner Geliebten Susette Gontard—der Diotima des Romans und zahlreicher Gedichte—schenkte, schrieb er Worte, die jenes Anderswoher aufrufen: “Der Einfluß edler Naturen ist dem Künstler so nothwendig, wie das Tagslicht der Pflanze.” Vertrauter, inniger aus gleicher Motivation heraus klingt der Diotima geltende Eintrag im zweiten Band: “Wem sonst als Dir” (MA III, 316). Doch wird Hölderlin im Begleitbrief erläutern, er habe es für “nothwendig” gehalten “der ganzen Anlage nach,” “daß Diotima stirbt.” Es kommt noch schlimmer: Die zu Diotima Verklärte leidet ganz real unter der von Konvention erzwungenen Trennung von Hölderlin, verzehrt sich immer mehr und stirbt im Juni 1802, als der Geliebte in Bordeaux weilt, mit 33 Jahren an den Röteln. Hölderlin, der vielleicht eine Vorahnung hatte, erhält, als er eben in die Heimat zurückgekehrt war, von seinem Freund Sinclair die Todesnachricht.