Das Markusevangelium – eine ideologie- und imperiumskritische Schrift?: Ein Blick in die Auslegungsgeschichte
Published online by Cambridge University Press: 16 February 2021
Summary
Einleitung
Seit mittlerweile gut zwanzig Jahren, verstärkt aber in der vergangenen Dekade, hat eine ideologie- und imperiumskritische Markuslektüre das Interesse der Exegetinnen und Exegeten an dem ältesten Evangelium in eine neue Richtung gelenkt. Imperiumskritik meint dieser Auslegungsrichtung zufolge die Kritik an der religiösen Selbstverabsolutierung und dem politischen Gebaren des Imperium Romanum; der demgegenüber weitere Begriff der Ideologiekritik schließt auch die Kritik an der Orientierung an der Hochschätzung des Reichtums sowie am System von Ehre und Schande mit ein.
Als Textelemente, die einer imperiumskritischen Markuslektüre zugänglich sind, gelten bei Gerd Theißen, Martin Ebner und Warren Carter der Begriff ϵὐαγγέƛιον, bei Klaus Wengst und Michael Bünker das Schlusswort Jesu in der Perikope von der Kaisersteuer (Mk 12,13–17), bei Volker Küster die Zeichnung des ὄχƛος, bei Hermann Waetjen die Charakterisierung der Dämonen, bei Warren Carter vor allem der Dämon „Legion” (Mk 5,9), bei Matthias Klinghardt die in der gleichen Erzählung erwähnten Schweine (Mk 5,13), die Charakterisierung einiger menschlicher Akteure bei Stefan Lücking und bei Hisako Kinukawa, die Zuweisung des Gottessohntitels an den Gekreuzigten bei Eckhard Reinmut und Martin Ebner, der Verweis auf die Entrückung Jesu in Mk 16,6 bei Martin Ebner, die Wunder Jesu bei Silvia Schroer und Thomas Staubli, die Heilung der kranken Frau (Mk 5,25–34) bei Thea Vogt,11 die Zebedaidenfrage bei Jürgen Roloff, Eckart Reinmuth und Stefan Schreiber, die Blindenheilung (Mk 10,46–52) bei Martin Ebner, die Verfluchung des Feigenbaums (Mk 11,12–14) bei Warren Carter, die Salbung Jesu (Mk 14,3–9) bei Monika Fander, die urchristlichen Rituale Taufe und Abendmahl bei Martin Ebner und Christian Strecker, allgemein die Anthropologie bei Carsten Jochum-Bortfeld, die Christologie bei Adam Winn.
Die neue Auslegungsrichtung hat noch kaum Eingang in die Kommentare gefunden. Vorbehalte und alternative Deutungen sind angemeldet worden: In Mk 5,9 meint der Name „Legion” lediglich die große Zahl und ist mit Hinweis auf die Analogien Testament Salomos 11,3–7 oder Horaz, Oden 1.3.30 („Kohorte von Fieberdämonen“) unpolitisch erklärt worden – wichtiger sei dem Evangelisten die kultische Reinheit nichtisraelitischer Gebiete; dass Herrschaft Dienst bedeutet, ist im Judentum wie im Griechentum als Gedanke da, also keine neue christliche Errungenschaft.
Grundsätzlich hermeneutische Erwägungen
Exegese vollzieht sich nicht im luftleeren Raum. Neutestamentliche Wissenschaft muss sich heute mehr denn nach ihrer gesamtgesellschaftlichen Relevanz fragen lassen.
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- People under PowerEarly Jewish and Christian Responses to the Roman Empire, pp. 129 - 158Publisher: Amsterdam University PressPrint publication year: 2015