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Published online by Cambridge University Press: 02 December 2020
Es ist hier der Ort zu einer Erwägung allgemeiner Art. Man mag Helena naïv als absolute Vertreterin des griechischen, rein formalen Schönheitsideals, oder, wie wir, als eine durch romantische Ironie gebrochene und daher relativierte Spiegelung dieses Ideals betrachten. In der Schlußfolgerung, daß Faust dieser erneuten Versuchung zum Verweilen im schönen Augenblick nicht unterliegt, wird man zusammenkommen müssen. Das Reich der Schönheit hat für den hemmungslosen Willen keine haltende Kraft. Auch es ist nur ein Durchgangspunkt zu einer höheren Stufe. Wenn es also nur darum geht, dann ist alles in Ordnung. Faust wird nicht faul; er hat seine strebende Seele gerettet und äußerlich dem Teufel obgesiegt. Aber es handelt sich ja nicht allein darum, daß Fausts Tätigkeit höher wird. Sie muß—und das scheint uns das Entscheidende—auch “reiner” werden. Eine Erhöhung des Orts und selbst eine Beschränkung des Wirkungsfelds allein tun das nicht. Diese verändern wohl das Ziel, aber nicht die Immanenz des Willens. Wenn dieser die Idee, anstatt sie zu vergewaltigen, nicht in sich aufnimmt, dann hat alle Orts- und Zielveränderung geringen Wert. So lange Goethe seinen Faust nur durch die materielle Welt (Auerbachs Keller, Osterspaziergang, Gretchenerlebnis, Kaiserhof) führte, brauchte er sich um diese esoterische Seite des Problems nicht zu kümmern. Mit der Helenatragödie aber tritt Faust in das Reich des reinen Geistes ein, der sich ihm im Abglanz der Helena als Kunst objektiviert. Da dieser Geist “ewigen Wesens” und “den Göttern ebenbürtig” ist, erhebt sich die Frage, ob er in dieser Form sittlich-erzieherische Wirkung ausübt, d.h., ob die Kunst die Aufgabe der Ethik und Religion übernehmen kann.
43 Brief an Schiller vom 26. Oktober, 1794.
44 Schillers Werke, hg. von A. Kutscher. Bd. viii, 23. Brief, S. 78.
45 a.a.O., 24. Brief, S. 82.
46 a.a.O., 25. Brief, S. 90.
47 a.a.O., Brief. S. 82-83.
48 Vgl. H. Rickert, Goethes Faust, SS. 389-391, wo allerdings angenommen wird, daß Faust die dort angedeutete Entwicklungslinie durchlaufe.
49 S. Goethes Bemerkung zu Eckermann (a.a.O., S. 255): “Aber Schiller hatte in seiner Natur etwas Gewaltsames; er handelte oft zu sehr nach einer vorgefaßten Idee, ohne hinlängliche Achtung vor dem Gegenstand, der zu behandeln war.”
50 S. Goethes Unterhaltung mit Förster (H. G. Gräf, Goethe über seine Dichtungen. Zweiter Teil: Die dramatischen Dichtungen. Zweiter Band [Frankfurt a.M., 1904], S. 441): “im Greisenalter werden wir Mystiker.”
51 S. E. Jockers, a.a.O., SS. 22, 50, 63.
52 Das groß geschriebene “Er” in Vers 10622: “Mich deucht, Er will ein Zeichen senden” deutet u.E. darauf hin, daß hier nicht der Negromant, sondern wirklich der Herr des Himmels gemeint ist, zu dem des Kaisers Blick sich “aufwärts” wenden soll.
53 Das Beste zum Gesamtproblem “Faust und die Sorge” hat Burdach in seiner bereits erwähnten Abhandlung “Faust und die Sorge” gesagt. Zur Deutung der Sorge vgl. weiter: H. Türck, Eine neue Fausterklärung, 4. Aufl. (1906), SS. 25-67; G. Rosenthal, “Faust und die Sorge,” Zs. f. dt. Unterricht (1913), SS. 421-432; H. Hermann, “Faust und die Sorge,” Zs.f. Ästhetik, u.s.w. (1937), xxxi, 321-327.
54 Nach Burdach (a.a.O., S. 40), gehören Mangel und Not der “sozialen Sphäre” an, während die Schuld “in die sittliche Sphäre” hineinreicht.
55 Ähnliche Selbstenhüllungen finden sich auch in den folgenden Versen: 464-467; 1660-1670; 1754-1755; 1765-1775; 3348-3351; 7459; 11238-11242; 11255-11256.
56 Burdach kommt dieser Auffassung sehr nahe, wenn er (a.a.O., S. 51) die Sorge definiert als einen jener “Naturgeister, deren elementares Wesen und Leben an sich in moralischer Hinsicht neutral ist, und die aus einer Sphäre stammen, die jenseits alles Menschlichen liegt.” Auch für ihn ist die Sorge “Sendbote und Vorläufer des Todes.” (S. 35). Die häufig gemachten Versuche, die Faustische Sorge zu der Wilhelm Meisters (Wanderjahre, Erstes Buch, Siebentes Kapitel, S. 123, W. A.) und Egmonts in Beziehung zu bringen, tragen wenig oder nichts zur Klärung der Faustischen Sorge bei, denn bei Wilhelm handelt es sich um die Deutung eines religiösen Problems (Gewissen) und bei Egmont um ein psychologisches Problem (Zweifel am Menschen).
57 Auch Burdach stellt die irdische Läuterung Fausts in Frage in seinem gedankenschweren Aufsatz“ Das religiöse Problem in Goethes Faust.” Euphorion, xxxviii, 1932, SS. 3-83. Dort heißt es (S. 81): “Hat Faust überhaupt in Goethes Drama eine immer höhere und reinere Tätigkeit bewährt? War nicht sein brutales, blutbeflecktes Vorgehen gegen Philemon und Baucis ein Rückfall in die Sündenverstrickung?” Über den Sinn dieser Frage kann wohl kein Zweifel sein. Vgl. auch: F. Melzer, a.a.O., SS. 241-243 und O. v. Taube, “Gedanken zu Goethes Faust.” Pr. Jb., 240 (1935), SS. 65-69.
58 S. Seite 9 dieser Arbeit.
59 SS. Goethes Äußerung zu K. E. Schubarth (Graf, a.a.O., S. 272): “Auch den Ausgang haben Sie richtig gefühlt. Mephistopheles darf seine Wette nur halb gewinnen, und wenn die halbe Schuld auf Faust ruhen bleibt, so tritt das Begnadigungsrecht des alten Herrn sogleich herein, zum heitersten Schluß des Ganzen.” S. auch K. Fischer, a.a.O., Bd. iv, SS. 273-274 und H. Rickert, Goethes Faust, SS. 436-438.
60 S. Eckermann, a.a.O., S. 373.
61 S. seine Bemerkungen zu Eckermann, a.a.O., S. 112 und S. 505.
62 S. Eckermann, a.a.O., S. 505.
63 S Gräf, a.a.O., S. 155.
64 a.a.O., S. 106.
65 a.a.O., S. 504.
66 Paralip. 105.a; Petsch, a.a.O., S. 594.
67 F. Melzer, a.a.O., S. 243, nennt ihn den “Gott-Abgewandten Menschen,” “der nur Er selber sein und eigenmächtig seinen Weg gehen will” und sagt (S. 244), “daß die Dichtung den Irrweg eines solchen Menschen zeigt, der von Zusammenbruch zu Zusammenbruch” geht.
68 S. Novalis Schriften, hg. von J. Minor, ii. Bd. (Jena, 1923). Blütenstaub, No. 28, S. 117.
69 Ebda., Bd. iii, Fragmente, No. 452, S. 102.